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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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daß sie alle zusammen nach ihrer Rückkehr in ein Lokal gehen und munter futtern und trinken würden. Barbaras Mann Thomas wäre sicher mit von der Partie. Zwei wohlgelaunte Ehepaare, die Männer machen ein paar freundliche Witze über das Lotterleben ihrer Frauen in Kopenhagen, die Frauen erzählen freundliche Witze über ihre unflexiblen und unsensiblen Männer, Filme werden genannt, in die man demnächst gehen könnte, vorsichtig werden gemeinsame Ferienziele erwogen – auf dieses Bad in den Wonnen des bürgerlichen Lebens hatte Viktor plötzlich eine ungewohnt heftige Lust, auf angenehmes Geschwätz, auf Rückhalt und auf das behagliche Gefühl, in einem französischen Film mitzuspielen, Rohmer vielleicht, oder auch Truffaut oder Chabrol – aber ohne Mord und Totschlag.

Fräulein Strindberg

    Katastrophen, heißt es, kommen nicht aus heiterem Himmel, sie haben ihre Vorzeichen, sie kündigen sich an. Viktor lehnte solche Behauptungen als neunmalkluges esoterisches Geraune ab, obwohl Zweitexehefrau Ira ihm in der Zerrüttungsphase seiner Zweitehe einst erstaunlich geduldig erklärt hatte, daß er mit seinem Materialismus noch »Schiffbruch erleiden« werde – was hatte er damals über diesen Ausdruck gelacht! Wie suspekt war ihm Ira gewesen wegen dieser Oberlehrermetapher! »Begreif das doch, ehe es kracht, ziehen Wolken auf«, hatte Ira ihm unbeirrt klar zu machen versucht.
    Viktor aber war mit dem Aufspüren und Auskosten, Beobachten und Ordnen seiner erotischen Gefühle, vor allem mit dem ständigen Verwandeln dieser Gefühle von der Wirklichkeit in die Literatur und wieder zurück derart beschäftigt, daß er den warnenden Zeichen, die dem Unheil voraneilen, keine Beachtung schenkte oder sie gar nicht wahrnahm. Im Grunde verhielt er sich noch immer so, wie es Erstexehefrau Ella in der Zerrüttungsphase seiner Erstehe so oft beklagt hatte: nicht anders als ein stumpfsinniger Manager, der nichts als seine Geschäfte im Sinn hat, der weder auf andere noch auf sich selbst Rücksicht nimmt und irgendwann vom verdienten Herzinfarkt hinweggerafft wird. Viktor hatte vehement protestiert. Er bestehe quasi aus Rücksichtnahme, und was den Herzinfarkt betreffe: So viel Rotwein er trinke, so wenig er rauche, so sprungbereit er an der Schreibmaschine säße, so würde er den nie bekommen!
    »Es wird schon gutgehen.« Dieses Motto machte ihn blind für alle Warnungen. Wäre er vorsichtiger gewesen, dann wäre ihm vielleicht aufgefallen, daß seine Bereitschaft Ellen abzuholen in der Tat höchst ungewöhnlich war: Sie mußte nicht nur Ellen irritieren, sie hätte ihm auch selbst zu denken geben müssen. Solch ungewohnte Anhänglichkeit mußte ihre Gründe haben.
    Ellen kam am späten Abend. Sogar ihre Reisetasche hatte sie allein die Treppen hochgetragen. Ella und sogar Ira hätten unten geklingelt und hochgerufen, er möge helfen. Viktor hatte plötzlich das seltene Bedürfnis, ein normaler, an den Geschicken seiner näheren Umgebung Anteil nehmender Mensch zu sein. Er wollte ein Glas trinken und vielleicht mit Ellen zusammen einträchtig eine Avocado teilen, und jeder würde seine Hälfte auslöffeln. Er wollte seine häufige Interesselosigkeit Ellen gegenüber wiedergutmachen und sich von der Kopenhagenreise erzählen lassen. Derart familiär war ihm zumute, daß er sich sogar schon vorstellen konnte, Ellen nach dem schulischen Wohlergehen ihrer Nichten und Neffen zu befragen.
    Ellen aber hatte mit Barbara im Speisewagen gegessen, sie war satt, müde und schlechter Laune und wollte nichts anderes, als rasch im Bett sein und morgen sehr früh ins Büro gehen, um die Arbeit der blaugemachten Tage zu erledigen.
    Viktor dagegen war noch hellwach. Er schrieb an Ella und bedauerte, daß er sie in der viele Jahre zurückliegenden Zeit ihrer Ehe nicht fröhlicher vom Bahnhof abgeholt hatte, daß er dann nicht mit ihr in ein Lokal essen gegangen war, bereit, ihren Familiengeschichten geduldig zuzuhören, wie sie es erhofft haben dürfte, sondern vermutlich spartanisch behauptet habe, zu Hause gebe es genug Brot und Käse. Pfui, was für ein genußunfähiger Patron sei er gewesen! Der Brief geriet im Überschwang der Erinnerung dann doch zu reumütig, um so an Ella abgeschickt zu werden. Er wählte eine Postkarte, auf die er eine weniger bußfertige Kurzfassung schrieb, kopierte diese und heftete sie an den Brief. Das waren genau die richtigen Gedanken für eine Romanfigur. Viktor ging ins Gästezimmer, um dieses Dokument der

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