Der Liebeswunsch
geben und ein monatliches Salär aussetzen. Daniel wird bei mir oder Deiner Mutter bleiben.
Das alles gilt vorbehaltlich der späteren gerichtlichen Regelung unserer Scheidung. Ich habe die in diesem Brief formulierten
Vorschläge in einer schriftlichen Vereinbarung zusammengefaßt, die von Dir und mir unterschrieben werden sollte. L.«
Unter dem Brief stand noch ein P. ;S.:
»Wenn ich heute am späten Nachmittag nach Hause komme, sollten wir noch einen ruhigen Abend miteinander verbringen und morgen
auseinandergehen.«
Wie vernünftig das ist, dachte sie. Wie logisch, wie beruhigend. Aber es war nur ein weites Netz mit riesigen Zwischenräumen. Das Leben blieb nicht darin hängen. Es kam darin nicht
vor. Das war vermutlich der Sinn der Sache. Es war ein Netz, durch das man hindurchfiel mit seiner ganzen Geschichte, seinen
Gefühlen, seinen Träumen. Davon hat er nie etwas wissen wollen. Er hat mich organisiert, kontrolliert, indem er sein Netz
ausspannte zu meiner Sicherheit und seiner eigenen Beruhigung. Auch jetzt wieder. Ich unterschätze das nicht. Er ist umsichtig
und fair. Ich brauche nur zu unterschreiben, und das, was von mir in seinem Netz hängenbleibt, bekommt ein neues Leben. Was
ist denn schon verlorengegangen? Es war ja alles nur geträumt. Und was konnte verkehrt sein in einer Welt, in der es nichts
Richtiges gab? Es fiel ihr schwer, den Gedanken festzuhalten und überhaupt zu verstehen, weil sie unendlich müde war. Das
Verkehrte in einer Welt, in der nichts richtig war. Was bedeutete das? War alles gleich? Konnte man alles tun oder bleiben
lassen?
Sie ließ den Kopf auf das Kissen sinken. Müßte mich eigentlich vorher ausziehen, dachte sie. Doch sie wollte ja nur ein wenig
so liegen. Liegen, ohne nachzudenken. Vielleicht sollte sie noch ein Aspirin nehmen wegen der Kopfschmerzen? Ja, das war vernünftig.
Sie raffte sich noch einmal auf und ging ins Badezimmer, kam mit dem Wasserglas und der sprudelnden weißen Tablette zurück,
trank auf dem Bett sitzend die bittere Flüssigkeit in einem Zug. Vielleicht unterschreibe ich die Vereinbarung, dachte sie.
Etwas anderes konnte sie schließlich gar nicht tun.
Als sie nach zweieinhalb Stunden wach wurde, war Leonhard schon einige Zeit im Haus. Sie hatte vor Erschöpfungtief und traumlos geschlafen und ihn nicht kommen gehört. Sie stand schwindelig auf, duschte, wusch und fönte sich die Haare,
fühlte sich aber nicht grundsätzlich besser, als sie nach unten ging, wo Leonhard Zeitung lesend auf sie gewartet hatte. Er
hatte gemerkt, daß sie im Haus war, weil sie vergessen hatte, die Alufolie des Pizza-Dienstes wegzuräumen. Er musterte sie,
sagte, daß sie etwas mitgenommen aussehe. Sie dachte, »hergenommen« wäre das genauere Wort. Wahrscheinlich meinte er das auch.
Er schaute auf seine Armbanduhr und sagte: »Wenn es dir recht ist, fahren wir in den Bitzer Hof zum Abendessen. Da sind wir
vor einigen Jahren schon einmal gewesen. Erinnerst du dich?«
»Nein«, sagte sie.
»Der Bitzer Hof in Immendorf, ein ehemaliger Bauernhof, der jetzt ein ländliches Restaurant ist.«
»Tut mir leid, ich erinnere mich nicht.«
»Ist ja auch nicht wichtig.«
In seiner behäbigen Schwere stand er aus dem Sessel auf, legte die zusammengefaltete Zeitung auf den Tisch und sagte: »Komm,
dann laß uns fahren.«
»Jetzt schon?« fragte sie. »Ist das nicht zu früh?«
»Wir machen vorher noch einen kleinen Spaziergang«, sagte er.
Verfüg bitte nicht einfach über mich, wollte sie sagen, unterließ es aber. Es war klüger, sie vermied jeden Streit. Es kam
auch nicht mehr darauf an. Schon morgen würde sie das Haus verlassen. Wenn sie daran dachte, war dieser letzte Abend mit Leonhard
eigentlich schon bedeutungslos.
Sie fuhren die alte Köln-Bonner Landstraße in Richtung Süden. Links von der Straße ragten einige Dächer des Villenviertels Hahnwald über die Mauern und das Laub der Büsche und Bäume. Es war eine verschlossene Welt mit bewachten, einbruchsicheren
Häusern auf riesigen Grundstücken, wie sie gehört hatte. Rechts von der Straße erstreckte sich eine Baumschule mit langen
Reihen von Blautannen und Thujabäumen. Dann folgten die Glasbauten eines Autohändlers und ein Möbelhaus. Die dazugehörigen
Parkplätze waren jetzt fast leer.
Sie hatte das Seitenfenster heruntergefahren, schloß es aber wieder, weil der Gestank der Godorfer und Wesselinger Raffinerien
in den Wagen drang. In Godorf
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