Der Liebeswunsch
wie es geschehen war. Der Mann war Platzwart bei den Kiesgruben gewesen und hatte gerade
geheiratet, als die Gruben vor dreieinhalb Jahren stillgelegt wurden und er seine Arbeit verlor. Er hatte immer schon getrunken,
aber jetzt war es rapide mit ihm bergab gegangen. Seine Frau, eine Spätaussiedlerin aus Polen, die als Putzfrau arbeitete,
hatte versucht, das Geld zusammenzuhalten. Er hatte sie aber immer wieder mit Schlägen und Tritten gezwungen, ihm Geld für
seine Sauftouren zu geben. An jenem Abend war er schon betrunken nach Hause gekommen und hatte mehr Geld von ihr verlangt
und sie in den Leib getreten, als sie sich weigerte. Danach hatte er sich umgedreht, um zu dem Versteck zu gehen, das sie
ihm aus Angst verraten hatte. In dem Moment hatte sie neben sich im Regal den Hammer erblickt und ihm von hinten mit Wucht
auf den Schädel geschlagen. Er war nicht sofort umgefallen, erst beim zweiten Schlag. Doch sie hatte immer weiter auf den
Kopf des am Boden liegenden Mannes eingeschlagen, bis der ganze hintere Schädel eine blutige Masse aus Haut, Haaren und Knochensplittern
war. Der Gutachter hatte das dem Gericht an dem präparierten Schädel demonstriert und damit einen Beweis für die Panik dieser
Verzweiflungstat erbracht.
Danach hatte die Frau den toten Körper ihres Mannes an den Füßen aus dem Haus geschleift und in einer zähen Anstrengung auf
ihr immer wieder wegrutschendes, umfallendes Fahrrad gebunden. So hatte sie ihn gegen ein Uhr nachtsvom Haus weggeschafft und zur Vortäuschung eines Unfalls auf die Straße gekippt.
»Das muß ungefähr hier gewesen sein, hier, wo wir jetzt stehen. Es sollte aussehen, als sei er von einem Auto angefahren worden.
Sie hat auch noch extra auf den Speichen herumgetrampelt, ohne viel auszurichten.«
Er machte eine Pause.
»Laß uns noch ein Stück weitergehen bis zu dem Baggerloch.« Er wies auf einen lehmigen Weg mit vom Regen ausgewaschenen, jetzt
ausgetrockneten Fahrspuren. Ein Schild warnte: Baden verboten. Beim Betreten der Böschungen Lebensgefahr. Ein Maschendrahtzaun,
der fast ganz von Brombeergestrüpp und dichten Brennesselbüschen verdeckt war, grenzte einen Seitenarm des Baggerlochs vom
Weg ab, hörte nach vierzig oder fünfzig Metern aber auf. Je näher sie dem Ende des Weges kamen, um so mehr weitete sich der
Blick auf die unregelmäßig und tief in die Landschaft eingeschnittene Wasserfläche, die ringsum von steilen grünen Böschungen
umgeben war. Dort unten schien kein Lufthauch zu wehen. Das Wasser war ein glatter grauer Spiegel. An seinem Ufer, auf einem
sandigen Plateau, wo der Abbau anscheinend überstürzt beendet worden war, stand ein Transportband, dessen Eisenteile tiefbraun
vor Rost waren.
Leonhard hatte neben ihr hergehend geschildert, wie die Frau von der Landstraße in das Haus zurückgekommen war und dann erst
entdeckte, welche Spuren ihre Hammerschläge auf den blutenden Kopf des sterbenden Mannes hinterlassen hatte. »Buchstäblich
das ganze Zimmer«, so sagte er, »Fußboden, Wände, Vorhänge und Möbel, sogar die Zimmerdecke und natürlich ihre Kleider waren
mit Blutbespritzt. Sie hatte mit blutigen Händen die Tür zum Hof geöffnet und den blutüberströmten Toten in den Hof geschleift und
auf das Rad gebunden. Nach dem ersten Schrecken hatte sie sich daran gemacht, alles abzuwaschen und abzuseifen, und als in
der Frühe die Leute klingelten, die ihren toten Mann auf der Landstraße gefunden hatten, glaubte sie es geschafft zu haben.
Aber die Leute waren gleich nach den ersten Sätzen verstummt, denn sie hatten überall noch Blut gesehen.«
Nur noch nebenbei hatte Anja der Erzählung zugehört. Nun standen sie stumm nebeneinander am Rand der Grube und blickten hinunter.
Sie mußte daran denken, daß sich das Grundwasser auf der Höhe des Wasserspiegels unter dem Land fortsetzte. Das verstärkte
in ihr ein Gefühl von Bodenlosigkeit. Warum stand sie überhaupt hier? Weshalb hatte er sie hergeführt?
»Warum hast du mir das alles so genau erzählt?« fragte sie. »Ich wollte es überhaupt nicht wissen.«
»Weil du so zartbesaitet, so feinfühlig bist?«
»Nein«, sagte sie, »weil ich merke, daß du mich wie immer beeindrucken und belehren willst. Diese Frau ist für dich wahrscheinlich
eine Heldenmutter.«
»So würde ich es nicht nennen. Aber es stimmt. Sie hat das Leben ihres Kindes verteidigt. Das verdient Respekt.«
»Und deshalb hast du sie freigesprochen?«
Im
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