Der Liebeswunsch
Tonfall überlegener Sachlichkeit korrigierte er sie: »Ein Schwurgericht von fünf Personen hat sie unter meinem Vorsitz
vorzeitig auf Bewährung aus der Haft entlassen. Das Urteil war einstimmig. Sie hat übrigens während der Untersuchungshaft
im Gefängniskrankenhaus ihr Kind geboren und zieht jetzt in eine kleine Sozialwohnung.«
»Wenn das kein Happy-End ist für deine Schauergeschichte!«
Er schaute sie an und sagte: »Ich verstehe dich nicht.«
»Und ich verstehe dich nur allzu gut.«
»Was willst du damit sagen?« fragte er in einem ruhigen, interessierten Ton.
Sie zuckte die Achseln.
Dann fügte sie hinzu: »Siehst du: Es ist wieder schiefgegangen mit uns. Das ist doch wenigstens konsequent.«
Wieder verstummten sie, gelähmt von dem nur mühsam unterdrückten Zwang, sich immer weiter verletzen zu müssen. Schließlich
sagte er: »Komm, wir gehen zurück.«
Beim Abendessen im Bitzer Hof, wo Leonhard einen Tisch bestellt hatte, waren sie beide bemüht, jeden weiteren Streit zu vermeiden.
Leonhard machte ihr seine Vorschläge für die Trennung, die der erste Schritt zu ihrer Scheidung sein sollte. Er wollte ihr
20.000 Mark als Übergangsgeld geben, damit sie sich erst einmal neu einrichten konnte, und dazu ein monatliches Salär von
1.8oo Mark. Dabei unterstellte er, daß sie, wie bisher, durch ihre Lektoratsgutachten eigenes Geld verdienen würde. Sie sollte
mit ihrer gesamten Habe aus dem Haus ausziehen und, sobald sie eine dauerhafte Wohnung gefunden hatte, die Möbel ihres Zimmers
bekommen. Der Hintergrund dieser Entscheidung war eine Überlegung, die sie überraschte. Er wollte ihrer Mutter vorschlagen,
in das Haus einzuziehen – aus finanziellen Gründen und damit immer jemand für Daniel da sei. Während er redete und sein Konzept
begründete, hatte sie das Gefühl, immer durchsichtiger und leichter zu werden, als schwebte sie in einem schwerelosen Raum.
Von ferne sah sie zu, wieLeonhard ihr bisheriges Leben auflöste und nach eigenem Gutdünken ein neues für sie zusammensetzte, in das sie sich hineinfinden
sollte. Sie sah sich nicht darin. Es war nur ein abstrakter Raum oder ein Kokon, um sich einzupuppen und darin zu überleben.
Das konnte wohl nicht anders sein. »Ich muß darüber schlafen«, sagte sie, als er mit seinen Erläuterungen zu Ende war.
»Ja natürlich«, antwortete er. »Das hast du auch nötig. Du siehst elend aus.«
Sie versuchte wegwerfend zu lächeln, aber das mißlang. »Behalt mich nicht nur so in Erinnerung«, sagte sie.
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14
In the summertime when the weather is fine
Ende Juli – die Mauersegler und Schwalben sind gerade nach Süden abgeflogen – stabilisiert sich über der Nordsee ein ausgedehntes
Hoch, das mit vierzehn ununterbrochenen Sonnenstunden am Tag und mit Temperaturen zwischen 3o und 35 Grad eine Licht- und
Wärmeglocke über ganz Mitteleuropa stülpt. Der Wetterbericht des Fernsehens, gewöhnlich ein Inbegriff von Veränderung, bleibt
bis in einzelne Formulierungen von Tag zu Tag gleich. Trokkene, in Flußtälern schwülwarme Hitze durchglüht bei fast vollkommener
Windstille das Land. Nur an der Küste weht zeitweise ein leichter Wind aus Nordost, und am Nordrand der Alpen kommt es zu
vereinzelten Wärmegewittern. Über dem Flachland ist der Himmel zartblau, oft am Horizont durchzogen von einem weißlichen Dunst,
mit dem die letzte Feuchtigkeit aus dem Boden steigt. Ab und zu bilden sich weiße Wölkchen, die reglos im windstillen Raum
schweben und in den warmen Aufwinden bald wieder vergehen. Abends das Schönwetterzeichen eines rosigen Sonnenuntergangs. Über
dem Rhein hängen wie vertäute Luftschiffe einige langgestreckte, blaugraue Wolken. Kurze Zeit färben sich ihre Ränder in einem
klaren Pfirsichrot, bevor sie sich eintrüben und langsam verdunkeln. Verstreute Lichter im Fluß, dessen Wasser auf die schwarze
Silhouette der alten Bogenbrücke zutreibt, über die Tag und Nacht die Güterzüge rollen. Unter ihr erscheint ein festlich erleuchtetes weißes Ausflugsschiff, auf dem getanzt wird. Eine hallende, aber
unverständliche Lautsprecherstimme und hämmernde Technomusik dröhnen zu beiden Ufern hinüber, während das Schiff langsam mit
gedrosseltem Motor stromaufwärts fährt.
Seit Beginn der Hitzewelle schlüpfen beim Dunkelwerden in dichten Schwärmen die winzigen dämmergrauen Kriebelmücken aus dem
Uferschlamm. Sie bilden, im rasenden Kreiselflug auf- und absteigend,
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