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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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bogen sie nach rechts ab und kamen durch öde ehemalige Dorfstraßen mit gesichtslosen Häusern.
     Am Rand der Ortschaft rechts und links neuere Häuser mit schmalen Vorgärten hinter niedrigen Mauern. Überall zugezogene Gardinen,
     Topfpflanzen hinter den Fensterscheiben, Haustüren mit schmalen Lichtschlitzen aus Preßglas. Außerhalb des Ortes kreuzten
     sie in einer Unterführung den Damm der Autobahn, auf dem sie hochblickend die vorbeiflitzenden Dächer einiger Wagen sah, die
     in Richtung des Kölner Verteilerkreises fuhren. Während der ganzen Fahrt hatte Leonhard noch kein Wort gesprochen. Irgendein
     Gedanke schien ihn in Beschlag zu nehmen, so daß nur so viel Aufmerksamkeit übrigblieb, wie er brauchte, um den Wagen durch
     die Straßen dieser unübersichtlichen zersiedelten Landschaft zu steuern. Sie fuhren noch nicht zu dem Landgasthof, von dem
     er gesprochen hatte und an den sie sich nicht erinnern konnte. Aber wohin sie jetzt fuhren, hatte er ihr nicht gesagt, und
     sie hatte sich inzwischen mit seiner merkwürdigen Stummheit abgefunden und blickte ohne Interesse nach draußen, in dem einzigen
     Bedürfnis,sich zusammenzuhalten und gegen den Druck, der von ihm ausging, zu verschließen.
    Wieder bog Leonhard in eine andere Straße ab, die durch eine Ortschaft führte, und mit einem Mal befanden sie sich in offenem
     Gelände. Rechts und links waren erntereife Getreidefelder und dazwischen, mit einigem Abstand von der Landstraße, ausgebaggerte,
     mit Grundwasser vollgelaufene Kiesgruben, deren Ränder und Halden von Gestrüpp und Unkraut überwuchert waren. In der Ferne
     war klein wie ein Miniaturspielzeug die unregelmäßige Silhouette eines vielstöckigen Wohnsilos zu sehen und noch weiter entfernt
     der flache, bewaldete Höhenzug der Ville.
    Noch immer hatte Leonhard kein Wort gesagt. Er fuhr nur langsamer, nach beiden Seiten Ausschau haltend, die Straße entlang,
     die sich in sanften Kurven durch die Landschaft wand, und hielt überraschend in einer kleinen Ausbuchtung kurz vor der nächsten
     Kurve, die von einem völlig zerfallenen und von Gestrüpp zugewucherten Haus verdeckt wurde.
    »So, hier sind wir«, sagte er und schaltete den Motor ab, um auszusteigen.
    »Hier?« fragte sie.
    »Ja, ich erklär's dir. Steig erst mal aus.«
    Sie standen neben dem Wagen, um ein Auto, das aus der Gegenrichtung kam, vorbeizulassen. Dann faßte er sie am Oberarm und
     führte sie auf die andere Straßenseite, um von dort aus das Haus zu betrachten und ein paar Aufnahmen zu machen.
    »Das ist ja phantastisch«, sagte er.
    Das mit Eternitplatten verkleidete Haus war umgeben von Holunderbüschen und Brombeergestrüpp. Das Dachwar zum Teil abgedeckt, und die Fenster zur Straßenseite waren zugemauert. Als sie ein Stück um das Haus herumgingen, sahen
     sie, daß die seitlich zur Grundstückseinfahrt gelegene Haustür mit Brettern vernagelt war. Auf der anderen Seite der Einfahrt
     stand im rechten Winkel zum Haus ein ebenfalls verfallener Schuppen.
    »In diesem Haus«, sagte Leonhard, »das auch damals schon eine Bruchbude gewesen sein muß, hat vor zwei Jahren eine schwangere
     Frau ihren Mann, der ein Säufer und Nichtsnutz war, mit dem Hammer erschlagen. Wir haben sie heute unter Anrechnung ihrer
     zweijährigen Untersuchungshaft aus der Haft entlassen.«
    »Und warum hast du mich hierhergefahren?« fragte sie.
    Er schaute sie an, kalt und abschätzend und wie ihr schien, mit ungestilltem, unverhülltem Rachedurst.
    »Ich wollte dir nur einmal zeigen, was für unterschiedliche Problemlösungen es gibt.«
    »Aha«, sagte sie und versuchte, seinem Blick standzuhalten und das Zittern zu unterdrücken, das in ihr saß.
    Er lächelte jetzt, aber nicht begütigend, sondern als genösse er den Erfolg seiner Absicht, sie zu erschrecken, und weide
     sich an der Wehrlosigkeit, in der sie vor ihm stand.
    »Komm«, sagte er, »wir gehen ein Stück die Landstraße zurück bis zu den Einfahrten in die Kiesgruben, und ich erzähle dir,
     was hier passiert ist.«
    »Ich will’s gar nicht wissen«, sagte sie.
    »Doch komm. Etwas nicht wissen zu wollen ist falsch. Das habe ich ja gerade erfahren müssen. Komm, es sind nur zweihundert
     Meter oder etwas weniger. Die Strecke muß man aber gegangen sein, um den Vorgang ermessen zu können.«
    »Warum?« fragte sie.
    Sie hatte ihren Widerstand aufgegeben, weil es ihr klüger erschien, auf ihn einzugehen und ihn reden zu lassen. Er erzählte
     ihr, wie es zu der Tat gekommen und

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