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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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abgerückt. Es war unmöglich geworden zu sprechen.
    »Ich muß gleich fort«, sagte er und stand auf, um unter die Dusche zu gehen. Jetzt spült er alles von sich ab, alles was ihn
     an mich erinnern könnte, dachte sie. Nach einer Weile kam er seine nassen Haare frottierend zurück und begann sich anzuziehen.
     Auch sie zog sich an. Stumm wie zwei Menschen nach einer gemeinsam begangenen Untat, dachte sie.
    Er hatte einen abweisenden Ausdruck, als er, seine Hemdknöpfe schließend, sagte, daß er den Mietvertrag des Apartments nicht
     verlängern werde. Sie antwortete nicht, bückte sich nach ihrem zweiten Schuh, der unter das Kopfende des Bettes gerutscht
     war.
    »Wirst du heute mit Leonhard sprechen?« fragte er.
    »Natürlich«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.
    »Eins mußt du wissen«, sagte er. »In mir hast du keinen Mann, der besonders geeignet ist, lebenslang für eine Frau zu sorgen.
     Mit Leonhard bist du viel besser dran.«
    Sie blickte nicht auf, nickte, als läge die Antwort vor ihr auf dem Boden. Dann ging sie zu dem Tisch, auf dem er die Blätter
     aufgeschichtet hatte, die sie ihm in der Nacht geschrieben hatte, und begann sie sorgfältig in kleine Fetzen zu reißen. Mit
     dem letzten Blatt preßte sie die Fetzen zu einem Klumpen zusammen und ging damit in die Toilette. Er hörte die Wasserspülung.
     Was für eine lächerliche, übertriebene Theatralik, dachte er. Warum mußte ich an diese Frau geraten? Ich bin nicht geschaffen
     für diese großen Gefühle. Es war etwas Neues für mich. Es nimmt mir aber alles, was ich sonst noch vom Leben brauche. Es ist
     einförmig und ausweglos. Es höhlt mich aus.
    Er wartete, daß sie zurückkam, unsicher, wie er sich verhalten sollte. Im Grunde verstand er nicht, was geschehen war. Er
     hatte doch nur eine Warnung ausgesprochen, eine Warnung vor falschen Vorstellungen, die die Wirklichkeit wieder ins Spiel
     brachte. Aber die Wirklichkeit war fremd und verhaßt für sie, und sie hatte ihre ganze Gefühlskraft dafür aufgewandt, ihn
     aus der Wirklichkeit wegzulocken.
    Wo blieb sie jetzt? Ging das Drama weiter, das sie ihm vorspielte? Wie weit wollte sie es treiben? Er ging zu der Toilettentür
     und klopfte in dem unangenehmen Gefühl, lächerlich dazustehen, falls er von ihr eine banale Antwort bekam. Aber er hörte nichts.
     Klopfte noch einmal, drehte sich brüsk um und setzte sich auf einen Stuhl, um abzuwarten. Nach einer Weile kam sie ins Zimmer
     zurück und sagte: »Du wolltest doch gehen.«
    Hatte sie wirklich angenommen, er würde gehen, ohne sich zu verabschieden? Hatte sie ihm das nahelegen wollen, indem sie sich
     so lange eingesperrt und nicht geantwortet hatte? Ihre Haltung hatte etwas Steifes und Eng-Umgrenztesund drückte Abwehr aus, eine Anstrengung, die sie zu überfordern schien, und ein bekümmertes und besorgtes Gefühl für sie
     glomm in ihm auf.
    »Ich wollte nur sehen, ob du okay bist«, sagte er.
    Sie schaute ihn immer noch an. Ihr Blick war starr und leer, und er sah erstaunt, daß sie sich geschminkt hatte. Es wirkte
     absurd und puppenhaft und wie ein greller Ausdruck von verleugneter Verzweiflung, obwohl es vielleicht nur eine rasche Inszenierung
     war, mit der sie sich oberflächlich ins Gleichgewicht gebracht hatte.
    »Wirklich, Anja, bist du okay?«
    »Verschwinde«, sagte sie.
    Verständnislos schaute er sie an. Das mußte er falsch verstanden haben, obwohl eigentlich kein Irrtum möglich war. Er hatte
     aber einen Anspruch darauf, daß sie es ihm erklärte. »Was meinst du?« fragte er.
    »Ich will, daß du gehst!« schrie sie ihn an. Ihre Stimme überschlug sich: »Hau ab und komm nicht mehr zurück!«
    Das traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht, und ein schiefes Grinsen, das er nicht unterdrücken konnte, zwang ihn, den Kopf zu
     senken. Gut, er mußte das hinnehmen. Es war der Preis dafür, daß alles zu Ende war, viel schneller und einfacher, als er es
     sich hätte vorstellen können. Er durfte jetzt nur nicht den Fehler machen, noch etwas zu sagen, sondern mußte aufstehen, stumm
     an ihr vorbei zur Tür gehen und verschwinden, wie sie es gesagt hatte. Er fühlte eine tiefe Beschämung, die er vor ihr verbergen
     mußte und, wenn es möglich war, auch vor sich selber. Aufrecht, in der Haltung eines Mannes, der zu innerer Klarheit zurückgefunden
     hatte, verließ er das Zimmer. Er war nicht unverletzt geblieben, hatte genug Scherben aufzuräumen in seinem Leben.Wenn er noch eine Chance hatte, seine Ehe zu retten, war

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