Der Liebeswunsch
nur, daß es Klick macht bei ihm, wenn er mich sieht.«
Ein Ober kam mit Getränken. Ich nahm ein Glas Mineralwasser, Anja nahm ein Glas Sekt und fragte nach Rotwein.
»Ich bringe Ihnen gleich welchen«, sagte der Ober.
Ich hörte seinem beschwichtigenden Tonfall an, daß er wußte, wen er da vor sich hatte.
»Wirklich, Anja«, sagte ich, »du kannst heute vormittag nicht mit Leonhard sprechen. Er ist doch rundherum belagert und in
Anspruch genommen.«
»Du kannst aber trotzdem mit ihm sprechen«, sagte sie.
»Höchstens ein paar Worte, um ihm zu gratulieren.«
»Mehr will ich ja auch nicht. Ich will ihm gratulieren.«
Sie stürzte ihren Sekt hinunter, als ein lächelnder Mann mit einem mir bekannten Gesicht auf uns zutrat, zu dem mir im Augenblick
der Name fehlte.
»Da sieht man sich mal wieder«, sagte er.
Mir fiel ein, daß er ein Gerichtsmediziner war, der vorjahren an unserem Krankenhaus die Obduktionen gemacht hatte. Danach
war er an die Uni berufen worden. Soviel ich wußte, war er inzwischen Professor. Auch der Name fiel mir wieder ein. »Professor
Radke«, stellte ich ihn vor und sah, wie er Anja anschaute und taxierte. Ihren Namen sagte ich schnell und undeutlich, in
der Hoffnung, daß er ihn nicht verstand: »Meine Freundin, Frau Veith.«
»Wie der neue Gerichtspräsident?«
»Ja«, sagte Anja, »genau.«
Ich konnte deutlich sehen, wie sich die Neugier in Radkes Gesicht verstärkte. Wie sollte er das zusammenbringen, diesen gravitätischen,
würdevollen Mann, der in eines der höchsten Richterämter berufen worden war, und diese merkwürdige Frau, die für ihn vor dem
Hintergrund dieser Gesellschaft wie eine peinliche Fatalität aussah? Eigentlich hätte er sich mit Anjas kurzer Auskunft zufriedengeben
müssen, aber er konnte nicht darauf verzichten zu fragen: »Ist das Zufall oder Familie?« »Gewissermaßen Familie«, sagte ich
rasch an Anjas Stelle, um weiteren Fragen zuvorzukommen. Aber Anja antwortete: »Ich bin seine Frau.«
»Ach so«, sagte Radke dümmlich. Dann fing er sich und sagte: »Ich gratuliere zum heutigen Tag. Das ist ja eine große Ehre.«
»Nicht für mich«, sagte Anja.
»Ach nein?« fragte Radke, der nun nicht mehr wußte, wie er sich aus der Situation zurückziehen sollte. Anja gab aber keine
weiteren Auskünfte mehr, sondern wiederholte nur: »Nicht für mich.«
Der Ober brachte den Rotwein. Radke nickte und zog sich zurück, mit erhobenen Händen seine Unschuld an den aufgedeckten Peinlichkeiten
beteuernd. Anja trank in vollen Zügen ihr Glas leer. Ich kannte das. Es war ihr Erregungstrinken und kein gutes Vorzeichen
für die nächsten Stunden. Sie hielt das leere Glas in der Hand und starrte mich mit unverhohlener Wut an. Und in diesem Augenblick
sah ich, wie verwüstet vom Alkohol und von unbeherrschten Gefühlen ihr im Grunde immer noch zartes Gesicht war.
»Warum wolltest du nicht zugeben, daß Leonhard mich geheiratet hat?« fuhr sie mich an.
»Weil man zuviel erklären müßte«, sagte ich.
»Warum kann man es nicht einfach sagen? Was muß man da erklären?«
Wieder winkte sie einen Ober heran und stellte das leere Glas auf sein Tablett.
»Bringen Sie mir bitte ein neues!«
»Trink bitte nicht so viel«, sagte ich, und sie antwortete: »Kümmer dich um die Dinge, von denen du was verstehst.«
Inzwischen hatte das Streichquartett der Rheinischen Musikhochschule auf der Bühne Platz genommen, und vorne links öffnete
sich die Saaltür, und Leonhard und der Justizminister und alle anderen Honoratioren kamen hereinund besetzten die beiden reservierten ersten Stuhlreihen. Für mich war auf Veranlassung von Leonhard in der zweiten Reihe
ein Platz reserviert worden, den ich jetzt einnehmen mußte, es sei denn, ich hätte mich neben Anja in eine der letzten Reihen
gesetzt, wo noch einige Plätze frei geblieben waren. Aber dazu hatte ich keine Lust mehr.
Ich sagte ihr, daß ich auf meinen Platz müsse. Wir würden uns ja nachher noch sehen.
»Geh nur«, sagte sie.
Sie schaute sich nach dem Ober um, der ihr tatsächlich ein weiteres Glas Rotwein brachte, das sie hinunterstürzte, bevor sie
in einer der letzten Reihen untertauchte. Der Saal war ruhig geworden. Die Musik begann.
Ich saß auf meinem Stuhl und versuchte mich zu entspannen, wurde aber den Gedanken nicht los, daß in den hinteren Stuhlreihen
Anja saß – schon wieder leicht betrunken und erfüllt von Haß. Auf alle Fälle wollte ich verhindern, daß sie
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