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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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was Leonhard gesagt hat.«
    »Bescheidene Beschissenheit der Theorie«, wiederholte sie. Dann trank sie ihr Glas aus und winkte einen vorbeikommenden Ober
     heran, dem ich ansah, daß er nicht wußte, was er tun sollte.
    »Bringen Sie der Dame noch ein Glas«, sagte ich.
    »Selbstverständlich«, sagte er und verschwand.
    »Überlaß das mir«, sagte sie zu mir. »Ich weiß selbst, was ich zu tun habe.«
    Die beiden Männer, die mit Anja zusammengestanden hatten, waren zwar verstummt, aber nicht gegangen, als ich an den Tisch
     getreten war. Sie schienen abzuwarten, was weiter geschehen würde. Schließlich sagte einer: »Wir haben Frau Veith gerade angeboten,
     sie nach Hause zu fahren.«
    Also hatte Anja ihnen offenbar erzählt, daß sie Leonhards Frau sei, und sie hielten sie jetzt entweder für eine Verrückte
     oder, viel interessanter, für eine merkwürdige Entgleisung einer gesellschaftlich so hochrangigen und respektablen Person,
     wie es der neu berufene Gerichtspräsident in aller Augen war. Ich hatte keine Ahnung, wer die beiden Männer waren – Anwälte,
     Richterkollegen, Journalisten –, auf jeden Fall hielt ich es für besser, nicht weiter mit ihnen zu sprechen.
    »Danke, das mache ich schon«, sagte ich.
    »Aber Sie brauchen sich nicht zu bemühen. Ich stehe zu meinem Angebot.«
    »Ich fahre sie«, sagte ich kurz.
    Der Mann deutete eine Verbeugung an, die nicht viel mehr als ein Kopfnicken war. Dann räumten beide das Feld, unwillig wie
     zwei Hyänen, denen man die schon sicher geglaubte Beute abgejagt hatte. Fast gleichzeitig kam der Ober und brachte Anja ein
     neues Glas Wein.
    »Das läßt du besser stehen«, sagte ich. »Hast du überhaupt schon etwas gegessen?«
    »Nein, da standen zu viele Leute.«
    Ich wußte, was sie meinte. Sie war zwar rigoros in der Ablehnung der meisten Menschen, vor allem von denen, die sich hier
     versammelt hatten, aber sie ertrug es nicht, neugierig betrachtet zu werden, obwohl sie es durch ihre Erscheinung und ihr
     Auftreten ständig herausforderte.
    »Gut. Ich fahre dich nach Hause.«
    »Hast du Leonhard gesagt, daß ich hier bin?« wollte sie wissen.
    »Ja, natürlich. Er kann jetzt nicht. Aber er meldet sich bei dir.«
    »Kann was nicht?« fragte sie.
    »Du siehst doch, was hier abläuft«, antwortete ich. »Komm, wir fahren.«
    Sie griff nach dem Weinglas und trank es ohne abzusetzen aus, stellte es dann mit einer Heftigkeit, die für mich nach einer
     Gebärde des Abscheus aussah, auf den Tisch zurück.
    »Komm jetzt«, wiederholte ich.
    »Hat er dich gebeten, mich hier wegzuschaffen?«
    »Nein, das hat er nicht getan. Aber es wird Zeit, daß wir gehen.«
    »Ihr könnt mich alle mal«, sagte sie und lief auf die Freitreppe zu, die in den Garten hinunterführte. Dabei rempeltesie eine alte Dame an, die an einem Tisch stand und sich empört nach ihr umdrehte. Ich murmelte eine Entschuldigung und eilte
     hinter Anja her, weil ich fürchtete, sie würde die Treppe hinunterstürzen. Aber es war nicht ratsam, sie anzufassen, weil
     sie sich dann wehren und vielleicht schreien würde. Hinter uns, an der Balustrade der Terrasse, ahnte ich Leute, die uns nachblickten.
     Bekanntlich sind alle Menschen wild auf Anekdoten und Sonderbarkeiten, die ihnen bestätigen, daß sie selbst auf der besseren
     Seite sind. Immerhin bekamen sie noch zu sehen, wie Anja sich heftig zur Seite drehte und mich anfauchte: »Bleib hier, wo
     du hingehörst! Ich komme schon allein nach Hause!« Aber ich sagte nur: »Reg dich nicht auf und komm jetzt mit!« Und tatsächlich
     gehorchte sie mir und ging mit zum Parkplatz.
     
    Als habe sie alle ihre Energien erschöpft, sackte sie auf dem Beifahrersitz in sich zusammen, während ich sie nach Hause fuhr.
     Ich machte einen Versuch, mit ihr über den Vormittag zu sprechen, der sie sichtlich mitgenommen hatte, gab es aber bald wieder
     auf, weil sie so lahm reagierte. Sie war so unaufmerksam, daß sie mich erst falsch fahren ließ, bevor sie mir sagte, daß sie
     nicht mehr in der Südstadt, sondern in Zollstock wohne.
    »Warum bist du ausgezogen?« fragte ich.
    »Nicht freiwillig. Man hat mir gekündigt.«
    »Warum?«
    »Wegen wiederholten Verstoßes gegen die Hausordnung.«
    »Und? Stimmt das?«
    »Das wird schon so gewesen sein«, sagte sie, als könne sie sich nicht mehr richtig an die Geschehnisse erinnern.»Jetzt hause ich in einer absoluten Bruchbude«, fügte sie hinzu.
    »Und warum hast du nichts Besseres gesucht?«
    »Ich hab’s

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