Der Liebeswunsch
leidlich, indem wir unsere Aufmerksamkeit vor allem auf das Essen und
die Weine richteten, als hinge davon unsere künftige Erinnerung an unser gemeinsames Leben ab. Wir beendeten unsere Ehe als
Gourmets in einer vom Wein benebelten Eintracht. Das Problem war nur, daß wir danach nicht auseinandergingen, sondern in dasselbe
Haus zurückkehrten, den Ort unseres Glücks und unseres Scheiterns. Paul hatte bedeutend mehr getrunken als ich. Das Restaurant
hatte er aber noch in tadelloser Form verlassen. Im Fond des Taxis hatte er meine Hand gesucht. Ich hatte sie ihm kurz überlassen
und sie wieder an mich gezogen. Er saß steif neben mir. Hereinfallende Lichter zeigten mir momentweise sein Profil, das mir
statuenhaft erschien. Es war das Profil eines Mannes, der um seine Haltung kämpfte. Als wir ausstiegen, konnte ich erkennen,
daß er betrunken war. Er hatte Schwierigkeiten, die Haustür aufzuschließen. Aber es schien mir besser, ihn nicht dabei zu
bevormunden, und er schaffte es in angemessener Zeit und ließ mich eintreten. Er wollte unbedingt noch starken Kaffee trinken,
um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, und offensichtlich erwartete er, daß ich mitmachte und noch nicht schlafen ging.
Ich wußte, er wollte noch nicht Abschied nehmen, und ich wollte ihn nicht enttäuschen. Aber mir war nicht wohl dabei. Schließlich
sagte er: »Laß uns noch einmal miteinander schlafen.«
»Wozu soll das gut sein?« fragte ich.
»Damit wir uns erinnern, wie es gewesen ist.«
»Das weiß ich auch so«, sagte ich.
Ich wollte hinzufügen: »Du bist es doch, der es vergessen hat.«
Dann ließ ich es, denn ich wollte nicht mehr mit ihm streiten. Das hatten wir bis zum Überdruß getan.
»Also, was tun wir jetzt, Liebling?« fragte er.
Es rührte mich, daß er mich Liebling nannte, wie er es in den ersten Jahren unserer Ehe getan hatte. Ich wollte mich aber
auf nichts mehr einlassen und sagte: »Ich bin sehr müde und gehe jetzt ins Bett.«
»Okay«, sagte er.
Ich war schon auf der Treppe, als er hinter mir herrief: »Warte, ich will noch auf dein Wohl trinken.«
Das hatte er natürlich schon im Restaurant getan. Aber ich kam noch einmal zurück und sah zu, wie er eine Flasche Rotwein
entkorkte und zwei Gläser füllte.
»Bitte, nicht so viel«, sagte ich.
Ich weiß nicht mehr, ob ihm noch etwas anderes einfiel als »Auf dein Wohl, Liebling«. Aber ich weiß, daß ich ihm ansehen konnte,
wie deprimiert er war. Ich hatte das ganz allein auf unseren Abschied bezogen und war vorübergehend fast wankend geworden.
Später erzählte mir ein Kollege von der Szene im Biergarten, wo Paul von Anja angesichts der zuschauenden Kollegen geohrfeigt
worden war. Das, glaube ich, war der Grund, weshalb er sich wieder an mich klammerte. Ich war für ihn eine Gegenmacht zu Anja,
bei der er Zuflucht suchte. Ich bilde mir aber nicht ein, daß es dauerhaft gewesen wäre. An irgendeine Version muß man sich
halten. Und ich wollte endlich unverwundbar werden, auch wenn es auf seine Kosten ging. Gut, wir haben eine Chance verpaßt.
Aber ich glaube, es sprach nichts dafür, es noch einmal zu versuchen. Nach allem, was ich über ihn zu hören bekomme, bin ich
erleichtert, daß ich unsere Beziehung beendet habe.
Anja bin ich dagegen noch nicht los. Obwohl Leonhard mich gebeten hatte, mich um sie zu kümmern, habe ich mich lange Zeit
von ihr ferngehalten. Ich hatte meine eigenen Probleme, an denen sie nicht unschuldig war. Ich hörte aber immer wieder von
ihr durch Leonhard oder Anjas Mutter oder durch Bekannte. Wenige Wochen nach ihrem Umzug erlebte sie ein Debakel mit Daniel.
Sie hatte wieder einmal ihr Recht beansprucht, ihn alle vierzehn Tage für einige Stunden zu sehen, und war in der Absicht,
ihm etwas zu bieten und sich bei ihm beliebt zu machen, mit ihm in einen Freizeitpark gefahren und hatte ihn trotz seiner
Angst genötigt, mit ihr zusammen Achterbahn und Loopingbahn zu fahren, und hatte ihn, weil sie mit jemandem gesprochen hatte,
plötzlich im Gedränge verloren und ihn erst nach einer Viertelstunde völlig aufgelöst wiedergefunden. Wahrscheinlich war es
aber noch skandalöser, als sie es erzählt hatte: Ein Mann, mit dem sie ins Gespräch gekommen war, hatte sie zu einem Glas
Wein eingeladen, und Daniel war ihr weggelaufen. Zwei oder drei Wochen später fuhr sie ihren Polo zu Schrott und verlor ihren
Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer. Gelegentlich hat sie auch
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