Der Liebeswunsch
sie mit ihm übereinstimmen sollte, weil sie jetzt seine Frau war.
Während sie noch eine halbe Tasse Kaffee trank und die beiden anderen Ehepaare zum Aufbruch rüsteten – sie wollten nach Siena
oder Lucca fahren –, fiel ihr wieder die mühevolle und gewaltsame Umarmung der vergangenen Nachtein, nach der sie noch lange wachgelegen hatte. »Jetzt sind wir richtig verheiratet«, hatte Leonhard gesagt und war bald danach
eingeschlafen. War es möglich, daß ihm ein Stein vom Herzen gefallen war und er sich deshalb so gelöst fühlte?
Nach dem Vormittag in den Uffizien und in der Accademia, wo sie einige Zeit, gestört von nachdrängenden Besuchergruppen, vor
Michelangelos noch halb im Stein gefangenen Sklavenfiguren standen, war ihr Fußgelenk wieder geschwollen. Sie mußte den Nachmittag
im Garten der Pension im Liegestuhl verbringen, während Leonhard in die Stadt fuhr, um jenseits des Arnos Michelangelos Festung
zu besichtigen und in den Boboligärten spazierenzugehen. Es war ihr angenehm, einige Zeit allein zu sein, auch wenn Frau Münchmeyer,
die nach ihr schaute und ihr etwas zu trinken brachte, sich darüber zu wundern schien.
»Nun, wie geht's dem Fuß?« fragte sie und zog einen weißen Gartenstuhl heran, vielleicht weil sie meinte, sich um sie kümmern
zu müssen. Schon am Morgen beim Frühstück, während Leonhard mit dem Ingenieur über den schiefen Turm von Pisa sprach und sie
stumm ihren Kaffee trank, war ihr aufgefallen, daß Frau Münchmeyers versonnener Blick auf ihr ruhte. Es war ein zurückhaltendes,
freundliches Interesse gewesen, das ihr gutgetan hatte, als sei sie von diesen aufmerksamen Augen geprüft und in die Gesellschaft
aufgenommen worden. Vermutlich war diese Frau eine Menschenkennerin. Aber sie war schwerhörig, und man konnte nicht immer
sicher sein, daß sie einen richtig verstanden hatte. Das ließ auch ihre Fragen abrupter erscheinen, als sie gedacht waren,
denn sie schlossen nicht immeran das vorher Gesagte an. Frau Münchmeyer fragte sie nach ihrem bisherigen Leben. Sie antwortete offenbar zu leise und gab
nur kurze Auskünfte, als habe sie nichts Besonderes mitzuteilen. Ihre Vergangenheit hatte sich vernebelt, und sie war gerade
erst aus diesem Nebel in einem anderen Leben aufgetaucht.
Frau Münchmeyer begann von sich zu erzählen, wie sie, noch als Studentin, auf Grund einer familiären Empfehlung hergekommen
sei, um während der Saison im Haushalt auszuhelfen. Verschwitzt von der langen Reise, sei sie mit ihrem bescheidenen Gepäck
hier eingetroffen und habe erst zögernd, dann aber gleich forsch am Griff der alten Hausglocke gezogen, und nach einer Weile
sei ihr späterer Mann erschienen und habe ihr geöffnet. Er sei ihr sofort sympathisch gewesen. Und er, der schon einige Zeit
Witwer war und nach einer neuen Frau Ausschau gehalten hatte, habe ihr später erzählt, er habe sofort gedacht: Das ist sie!
Vielleicht sei das eine nachträglich verkürzte Darstellung gewesen, doch im Grunde habe es gestimmt. Von Anfang an seien sie
beide aufeinander zugegangen. Und sie hätten es nie bereut.
»Es war eine wunderbare Ehe«, sagte sie. »Wir haben uns manchmal gestritten, aber nie gelangweilt. Das Haus und der Garten
sind voller Erinnerungen für mich. Deshalb kann ich mich nur schwer entschließen aufzuhören, obwohl die Arbeit allmählich
zuviel für mich wird.«
»Haben Sie Kinder?« fragte sie.
»Einen Sohn, der in Kanada lebt. Das ist natürlich ziemlich weit weg.«
Sie machte eine Pause. Dann sagte sie: »Mein Mann und ich waren vielleicht zu eng aufeinander bezogen. Das kann für ein Einzelkind
schwierig sein.«
»Versteh ich«, sagte sie. »Ich habe meinen Vater kaum gekannt.«
»Auch nicht einfach für ein Kind.«
»Nein.«
Frau Münchmeyer lächelte und berührte sanft ihre Hand, die auf der Lehne des Liegestuhls lag.
»Aber jetzt sind Sie auf Ihrer Hochzeitsreise.«
»Erstaunlich, aber wahr.«
»Sie haben es noch gar nicht ganz begriffen, scheint mir.«
»Anscheinend manchmal nicht. Ich weiß noch nicht, was ich begreifen soll.«
»Das weiß man auch erst zum Schluß, wenn man so alt ist wie ich.«
»Dann habe ich ja noch etwas Zeit«, sagte sie und traute sich ein Lächeln zu, das von Frau Münchmeyer ermutigend erwidert
wurde.
»So«, sagte sie. »Ich lasse Sie jetzt allein. Ich muß noch Geschäftspost erledigen. Anfragen von Gästen und Behördenkram.«
»Danke, daß Sie mit mir gesprochen haben«,
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