Der Liebeswunsch
gewöhnen, als
sie sich an dem runden Steintisch gegenübersaßen. Leonhard hatte Mühe gehabt, die Kerze des Windlichtes anzuzünden, die mehrmals
wieder erlosch. Und als sie endlich brannte, war es immer noch so finster, daß sie sich nur umrißhaft sahen.
Hinter den Hecken in dem von Seerosen fast zugewachsenen Zierteich quakten und quarrten die Frösche. Am Nachmittag, als sie
den Garten besichtigt hatten, waren in dem dunklen grünlichen Wasser nur einige kleine Goldfische zu sehen gewesen. Die Frösche,
die ihre Schritte auf dem Kiesweg gehört hatten, waren leise platschend ins Wasser gesprungen und untergetaucht. Jetzt, im
Schutz der Dunkelheit, saßen sie wohl alle auf den schwimmenden Seerosenblättern und erfüllten die Nachtstille mit ihrem vielstimmigen
Balzlärm, der manchmal wie ein Ausbruch von gemeinsamer Besessenheit zu einem wilden Unisono anschwoll. In der Nähe geisterten
Glühwürmchen durch das Laub der Sträucher, erloschen und leuchteten wieder auf. Sie wußte nicht, ob es die männlichen oder
die weiblichen Tiere waren, die durch ihr weißliches Licht die Geschlechtspartner anlockten, die unsichtbar im Dunkel herumschwirrten.
Sie wollte Leonhard danach fragen. Aber der hatte gerade angefangen, von den Uffizien zu sprechen, die er morgen mit ihr besichtigen wollte. Sie dachte daran wie an eine bevorstehende
Pflicht. Warum konnte er sich nicht der Stimmung dieser Sommernacht überlassen? Weil er sich vorgenommen hatte, sie zu einer
Frau zu machen, die zu ihm paßte? Für ihn war das vielleicht der Sinn dieser Italienreise. Für sie waren es Abschweifungen,
mit denen er ihr aus dem Weg ging.
Schließlich brach er ab, indem er sich auf die Wange schlug. Er war von einer Mücke gestochen worden.
»Ich glaube, wir sollten mal schlafen gehen«, sagte er. »Wir dürfen nicht zu spät zum Frühstück kommen. Die Haushilfe ist
krank, und deshalb muß Frau Münchmeyer alles alleine machen.«
»Ja, gut«, sagte sie und stand auf.
Ihr war beklommen zumute. Sie hatte das Gefühl, an einem fremden Ort mit dem fremdesten aller Menschen in ein gemeinsames
Schlafzimmer zu gehen, und ganz gegen ihren Wunsch fühlte sie, wie sie unempfindlich und gleichgültig wurde. Was in ihm vorging,
wußte sie nicht, brauchte es gar nicht mehr zu wissen. Um die anderen Gäste nicht zu wecken, stiegen sie stumm die Treppe
in den ersten Stock hoch und gingen durch den Flur zu ihrem Zimmer. Leonhard schloß auf, tastete nach dem Schalter neben der
Tür und ließ sie vor sich eintreten. Ihr Blick fiel auf das Bett mit den aufgeschüttelten und ein wenig hochgestellten Kopfkissen
und der Zierdecke mit ihrem Spitzensaum, der es wie eine Banderole umschloß. Hier bitte öffnen, schoß es ihr durch den Kopf.
In dem alten Haus mit seinen dicken Mauern gab es in den Zimmern nur einen Waschtisch. Die Toiletten und dasBadezimmer befanden sich auf der anderen Seite des Flurs. Leonhard fragte sie, ob sie zuerst hinübergehen wolle. Aber sie
zog es vor, sich im Zimmer zu waschen, und schlüpfte ins Bett. Es dauerte eine Weile, bis er zurückkam in einem neuen schwarz-rot
gestreiften Pyjama, der noch die Knickfalten aus der Verpackung zeigte. Den hatte er nicht im Schlafwagen getragen. Also war
er wohl für diesen Auftritt bestimmt: eine Robe für die Hochzeitsnacht. Über dem Arm trug er seinen Anzug und seine Wäsche,
die er in seiner Schrankhälfte unterbrachte, bevor er das Deckenlicht ausschaltete und in das Bett neben ihr stieg.
Seine Nachttischlampe brannte noch, ein trübes, rötlich gebrochenes Licht, in dem sie sein fleischiges Profil sah. Er hatte
die Augen geschlossen, als konzentriere er sich. Wie fremd war dieser Mann, wie undurchdringlich in seiner zeremoniell gebändigten
Schwere.
»Soll ich das Licht ausmachen?« fragte er.
»Wenn du willst.«
Nun lagen sie im Dunkeln. Sie konnte die quarrenden Balzrufe der Frösche im nahen Teich hören. Leonhards Hand kam unter ihre
Decke und suchte ihre Hand, die er wie eine Beute in seine große Hand einschloß. So lagen sie eine Weile still da. Dann merkte
sie, daß er sich mit der anderen Hand vorbereitete oder vielleicht selbst befriedigte. Sie wußte nicht, was es war, und wartete
wie gelähmt, bis er zu ihr herüberrollte. Er war hastig und ungeschickt. Sie versuchte ihm zu helfen, aber sie war noch nicht
bereit, ihn zu empfangen. Sie mühten sich ab im Dunkeln unter der Decke, die er nicht beiseite geschoben hatte.
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