Der Liebeswunsch
Sein heftiger
Schweißausbruch zeigte ihr, daß er in Panik war. Als er auf ihr lag, schloß sie die Arme um seinen breiten Rücken, während er mit schweren Stößen ihren Leib erschütterte. Beide blieben sie für sich, und sie dachte, daß sie sich wie eine Schiffbrüchige
an eine auf und ab wogende Planke klammere, mit der sie in die Dunkelheit des offenen Meeres hinaustrieb, bis die Bewegung
mit einem kurzen, schnellen Rütteln zu Ende war.
Er löste sich von ihr, lag noch einige Minuten neben ihr, bis sein Atem ruhiger wurde. Dann küßte er sie auf die Wange und
rollte in sein Bett zurück. Wieder kam seine Hand, um ihre Hand zu drücken.
»Jetzt sind wir richtig verheiratet«, sagte er.
Sie biß sich auf die Lippe, um ein Kichern zu unterdrükken. Es war also ein amtlicher Akt, dachte sie.
Wieder drückte er ihre Hand.
»Schlaf gut«, sagte er. »Ruh dich aus. Morgen schauen wir uns Florenz an.«
Sie kam als letzte zum Frühstück, weil sie nach Leonhard aufgestanden war und einige Zeit vor dem Spiegel zugebracht hatte,
um die Spuren ihrer Schlaflosigkeit zu beseitigen. Sie wollte unanfechtbar erscheinen und keine Fragen nach ihrem Befinden
auf sich ziehen. Alle blickten ihr entgegen, als sie in den Frühstücksraum trat, und überflüssigerweise stellte Leonhard sie
als »meine Frau« vor. Mit einem flüchtigen Erstaunen dachte sie, daß auch er sich in der ungewohnten Situation erst noch zurechtfinden
mußte. Es war ihm ein gewisser Besitzerstolz anzuhören gewesen.
Während sie sich noch ein wenig zögerlich dem Frühstück zuwandte und erst einmal einen Schluck schwarzen Kaffee trank, setzten
die anderen ihre Unterhaltung fort. Leonhard redete mit einem der beiden Männer über denschiefen Turm von Pisa. Der Mann war Baustatiker und hatte an einem internationalen Kongreß über die Sicherung des Turms teilgenommen.
Jetzt hängte er zusammen mit seiner Frau eine Woche Urlaub in der Toskana an. Offensichtlich unterhielt sich der Mann gerne
mit Leonhard, der genauso angeregt zu sein schien. Er zeigte Interesse und Verständnis für die dargestellten Probleme und
konnte aus seiner Sicht witzig damit umgehen.
Leonhard beschrieb den schiefen Turm von Pisa als den berühmten Außenseiter unter den Türmen, der die Toleranz für abweichendes
Verhalten auf die Probe stellt. »Ihre Konferenz«, sagte er, »sollte wohl die Grenzen der Akzeptierbarkeit definieren.«
»Es waren leider keine Juristen dabei«, sagte der Statiker. »Wir hatten vor allem den Auftrag, die Schieflage zu sichern.«
»Das ist eine etwas andere Beschreibung für das, was ich meine.«
»Natürlich«, sagte der dritte Mann, der bisher geschwiegen hatte, »es geht ja um eine Sehenswürdigkeit.«
Die beiden andern nickten und gaben ihm Gelegenheit, seine Bemerkung etwas üppiger auszustatten: »Die Pisaner wissen, was
sie an ihm haben. Es ist wohl der bekannteste Turm der Welt.«
»Eigentlich ist es ein sehr schöner und vornehmer Turm«, sagte Leonhard. »Aber sieht er nicht aus wie ein Betrunkener?«
»So kann man es sehen«, lachte der Ingenieur.
»Könnten Sie ihn wieder aufrichten?«
»Das ist schwierig. Und es wird von niemandem erwogen.«
»Eines Tages fällt er um wie ein alter Baum.«
»Kann schon sein. Noch ist er aber in sich ziemlich stabil.«
»Sie meinen, er wird nicht auseinanderbrechen. Aber fühlt er sich wohl in seiner Schieflage?«
»Einstweilen ja.«
»Ich sage ja: Es ist der Typ des prominenten Alkoholikers.«
»Schade«, sagte der Ingenieur, »das hätte ich beim Kongreß sagen sollen.«
»Nächstes Jahr gibt es wieder einen, nehme ich an.«
»Ja, dann müssen Sie kommen und einen Vortrag über die Psychologie des Turms halten. Über die Psychologie der Schiefheit.
Im Ernst, das ist doch was.«
»Ich werde es mir überlegen«, sagte Leonhard.
Danach wandte sich das Gespräch anderen Themen zu.
Die Frau des Ingenieurs, die neben ihr saß, reichte ihr die Konfitüre und fragte sie nach ihrer weiteren Reiseroute. »Wir
fahren von hier aus noch zehn Tage nach Rom«, antwortete sie.
Und dieses »Wir« war in diesem Augenblick mit einem Gefühl von Stolz verbunden. Sie war die Frau des Mannes, der am Tisch
das Wort führte. So locker hatte sie ihn noch nicht erlebt. Wenn er mit ihr sprach, war seinen Worten immer eine untergründige
Belehrung beigemischt. Er plauderte nicht, war niemals ironisch. Er ließ sie wissen, wie er das Leben sah und beurteilte und
worin
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