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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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machen.
     Da ihr Fußgelenk sich inzwischen erholt hatte, nahm sie auch wieder an den täglichen Besichtigungen teil. Das Gelenk war immer
     noch ein guter Entschuldigungsgrund, wenn sie sich zurückziehen wollte. Ab und zu schickte Leonhard eine Ansichtskarte an
     Marlene und Paul und bat sie, einen Gruß hinzuzufügen. Es lag ihm offenbar viel daran, daß sie immer als Paar auftraten. Sie
     ermaß daran, was es ihm bedeutete, verheiratet zu sein. Er redete aber nicht darüber, auch nicht nachts, wenn er zu ihr ins
     Bett kam. Er hatte inzwischen mehr sexuelle Sicherheit gewonnen, obwohl es immer derselbe Ablauf blieb.
    Am vorletzten Tag machten sie Einkäufe in der Via Veneto. Sie bekam eine Handtasche, ein elegantes hellgraues Kostüm und zwei
     dazu passende Blusen. In dem Koffer, den er ihr für die Reise geschenkt hatte, war dafür gerade noch Platz. Für ihn kaufte
     sie eine dunkelblaue Krawatte mit einem silbernen Clubstreifen, die sie im Schaufenster eines Herrenausstatters entdeckte.
    »Die kauf ich dir«, sagte sie.
    »Wenn du gerne möchtest«, antwortete er.
    Es störte allerdings, daß er die Krawatte selbst bezahlen wollte.
    »Ja, du hast eine arme Frau geheiratet«, sagte sie. »Aber das mußt du mir jetzt nicht unbedingt zeigen.«
    »Entschuldige. Das war nicht meine Absicht.«
    Sie spürte Lust, mit ihm zu streiten, doch sie unterdrückte das und ging in das Geschäft, um die Krawatte zu kaufen, während
     er draußen auf sie wartete. Er bedankte sich höflich, als sie mit dem flachen Päckchen zurückkam.
    Sie blieben auch vor den Fenstern eines Möbelgeschäftes stehen, weil sie vier Wochen nach ihrer Rückkehr in eine größere Wohnung
     ziehen wollten, die zur Zeit renoviert wurde. Der italienische Einrichtungsstil gefiel Leonhard nicht. Zu viel Marmor und
     Brokat, zu viele vergoldete Tischbeine und Beschläge, zu viel farbiges Muranoglas. Ihr hatte es auf den ersten Blick nicht
     so schlecht gefallen, doch sie hatte sich mit ihrem Urteil zurückgehalten, weil er die neue Einrichtung alleine bezahlen mußte.
     Sie wußte nicht einmal, wieviel er verdiente. Oder ob er Vermögen hatte. Immerhin – geizig war er nicht. Wenngleich es für
     sie immer so war, als ob er sie beeindrucken wolle.
    Einerseits kannte sie ihn sehr genau, andererseits kannte sie ihn überhaupt nicht. Würden sie sich nur aneinander anpassen
     oder auch verstehen lernen? Leonhard hatte von ihrem gemeinsamen Leben deutlichere Vorstellungen als sie. Er ging selbstverständlich
     davon aus, daß er nicht nur für sich, sondern auch für ihr Leben zuständig war. Er war überzeugt, daß sie ihn brauchte. Und
     sie brauchte ihn, weil sie blind für ihre Zukunft war. Das war immer so gewesen. Alsseien die Augen ihres Gefühls verschlossen. Nur manchmal hatte sie diese Anfälle von Angst. Das war dann wie ein jähes grelles
     Licht, in dem sie überhaupt nichts sah. Vielleicht würde das weniger werden an Leonhards Seite, wenn sie sich ihm anvertraute.
     Ihr richtiges gemeinsames Leben begann ja erst nach der Reise, wenn sie in die neue Wohnung zogen. Sie konnte es sich nicht
     wirklich vorstellen. Nichts hatte sie darauf vorbereitet, schon gar nicht diese Reise, die sie in einen anhaltenden Schwebezustand
     versetzt hatte, vor allem, wenn sie mit Leonhard durch die Zimmerfluchten römischer Paläste gegangen war, deren Wände und
     Decken bis in den letzten Winkel mit allegorischen, religiösen und mythischen Motiven bemalt waren. Sie hatte Platzangst in
     diesen Räumen bekommen, weil es ihr völlig unvorstellbar war, in ihnen auch nur einen Tag zu leben. Doch das hatte sie Leonhard
     nicht sagen können, der das alles großartig fand. Ohnehin spürte sie, daß er von ihrer matten Zustimmung enttäuscht war.
    Anders war es, wenn sie einfach durch die Stadt gingen und sie sich nicht genötigt fühlte, alles, was sie sah, zu würdigen
     und sich einzuprägen. Es würde sicher in sie eindringen und ihr eines Tages wieder vor Augen stehen.
     
    Den Abschiedsabend hätte sie gerne in einer kleinen Trattoria in Trastevere verbracht. Aber Leonhard hatte einen Tisch auf
     der Dachterrasse des Hotels bestellt. Es war sein Lieblingsplatz, weil man von dort auf das Forum blickte. Ihr war das auch
     recht. Es war eine Gelegenheit, das neue Kostüm anzuziehen, zu dem sie heute noch korallenrote Ohrstecker gekauft hatte. Er
     trug wie immer abends, wenn sie zum Essen gingen, seinen dunkelblauen Blazer und dazu die neueKrawatte. Zum ersten

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