Der Liebeswunsch
verkleinerte Park des einst ausgedehnten Landbesitzes gehörten seit Generationen einer deutschen Familie und wurden
inzwischen von der Witwe des letzten angestammten Besitzers geleitet, die nur noch einige ausgesuchte alte Bekannte als Gäste
aufnahm. Dank der Empfehlung von Paul und Marlene hatte sie mit ihnen eine Ausnahme gemacht, und Leonhard hatte bei seiner
telefonischen Anmeldung nicht versäumt zu sagen, daß sie auf ihrer Hochzeitsreise nach Florenz kommen würden. So erhielten
sie das schönste Zimmer, in dem zum Empfang für sie ein großer Blumenstrauß stand. Auf den ersten Blick gefielen ihr die weißlackierten
Möbel mit den Messingbeschlägen undden Glasfenstern, Entwürfe von van de Velde, wie übrigens auch die Möbel in den Wohnräumen. Leonhard, der es von Paul und
Marlene wußte, erzählte ihr das, als fordere er von ihr gebührenden Respekt für die Umgebung, die die erste Station ihrer
Hochzeitsreise war. Sie dachte, daß sie ihn küssen sollte, hier in diesem Raum, in dem sie miteinander schlafen würden, aber
er war noch dabei, seine Sachen in den Schrank zu hängen, und drängte sie dann, mit ihm in den Garten zu gehen, wo ihre Gastgeberin
am runden Steintisch inmitten eines Heckenlabyrinths mit einem Begrüßungstrunk auf sie wartete.
Auch in dem Ristorante, das ihnen die Gastgeberin, Frau Münchmeyer, zum Abendessen empfohlen hatte, schien man zu wissen,
daß sie auf der Hochzeitsreise waren. Auf dem Tisch, der für sie reserviert war, standen auch Blumen, und der Koch, der auch
der Inhaber des Lokals war, kam, um sie zu begrüßen und das Speisenangebot und die Weinkarte zu erläutern. Ihre Bestellung
nahm er wie einen ehrenvollen Auftrag mit einer Verbeugung entgegen. Beeindruckt durch diesen Empfang und zur »Feier des Tages«,
wie er ihr sagte, hatte Leonhard ein viel zu üppiges Menü zusammengestellt, und sie hatte nicht gewagt zu widersprechen.
Als sie in das vom Ober herbeigerufene Taxi stiegen, um in die Pension zurückzufahren, ließ sie sich schwer gegen die Rückenlehne
sinken und sagte, daß sie wie gelähmt sei. »Ja, es war üppig«, sagte Leonhard. »Aber das Essen war vorzüglich.« Es klang kurz
und bündig wie ein offizielles Urteil über den Abend. Sie schaute aus dem Fenster. Das Taxi fuhr bergauf in einer engen, windungsreichen
Straße zwischen hohen Mauern, hinter denen ab und zu das Dach einer alten Villa auftauchte, die sie am Tag durch die Gittertore
der Einfahrten erspäht hatte. Jetzt war alles dunkel. Nirgendwo erhaschte sie ein Zeichen, daß es hinter diesen Mauern Leben gab.
Auch Leonhard, der reglos neben ihr saß, war nur eine dunkle Körpermasse, in die sich seine Person zurückgezogen hatte. Zwischen
ihnen war den ganzen Abend kein richtiges Gespräch aufgekommen, und das viele Essen hatte dazu gedient, diesen Mangel zu verdecken.
Sie hatte sich keine bestimmte Vorstellung von dem Vorabend ihrer aufgeschobenen Hochzeitsnacht gemacht. Jetzt schien ihr,
daß sie einen weiteren Aufschub brauchte, um die abgerissene Beziehung zu Leonhard wieder anzuknüpfen. Das wollte sie nicht
erst im Bett versuchen. Möglicherweise ging es ihm genauso.
Das Außenlicht am Haus brannte noch und auch das Licht im Eingang. Innen, an der Türklinke der Haustür hing ein Zettel: »Bitte
zweimal abschließen und den Riegel vorlegen. Außenlicht bitte anlassen. Im Kühlschrank in der Küche sind Getränke. Gute Nacht!«
Es wohnten noch zwei andere Paare im Haus, die offenbar schon schliefen. Auch Frau Münchmeyer hatte sich zurückgezogen.
Während Leonhard die Haustür abschloß, ging sie einige Schritte weiter in den Eßraum, wo schon der Frühstückstisch gedeckt
war. Das kommt erst danach, dachte sie. Erst müssen wir die Nacht hinter uns bringen. Leonhard trat zu ihr.
»Alles schläft schon«, sagte er. »Möchtest du noch etwas trinken?«
»Ja, Mineralwasser«, sagte sie. »Und laß uns noch in den Garten gehen.«
Er machte eine Bewegung, als wolle er auf seine Uhr schauen, unterließ es aber.
»Gut, dann müssen wir durch die Küche. Der Haustürschlüssel paßt auch für die Küchentür, habe ich mir sagen lassen.«
Sie nahmen eins der bereitstehenden Windlichter in den Garten mit. Außerdem zwei Gläser und eine Flasche Pellegrino, die Leonhard
in die auf dem Kühlschrank liegende Liste eintrug.
An die Dunkelheit zwischen den hohen Hecken und unter dem dichten Laubwerk der Baumkronen mußten sie sich erst
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