Der Liebeswunsch
zwei Jahren alle vier Wochen, einmal bei ihnen und einmal bei uns. Ich hatte eine kalte Gurkensuppe
und Huhn mit verschiedenen Gemüsen im Römertopf gemacht, eines meiner Standardgerichte, deren Rezepte ich von Marlene habe.
Zum Nachtisch hatte ich eine Eistorte gekauft, die aber nicht besonders gut war. Dafür tischte Leonhard einen erstklassigen
Weißwein auf. Er zelebrierte ihn entsprechend und heimste befriedigt das Lob von Paul und Marlene ein. Leonhard bestand immer
darauf, daß man beim ersten Schluck die Gläser hob und einander zutrank. Ich fand das lächerlich, konnte mich aber nicht entziehen.
Diesmal griff ich als letzte zum Glas, und sehr zum Ärger von Leonhard stieß ich es um und mußte die nasse Tischdecke mit
einer Serviette unterlegen, damit es keine Flecken auf der Politur des Tisches gab.
Ich hatte an diesem Abend Kopfschmerzen und spielte schlecht, wartete nur darauf, daß ich zu den lückenhaften Serien, die
ich in der Hand hielt, die fehlenden Karten zog. Marlene massierte mir nach dem Spiel die Schläfen. Sie bildet sich viel ein
auf ihre helfenden Hände, und tatsächlich verschaffte sie mir etwas Erleichterung.
Ich sagte es ihr und bedankte mich.
»Es ist nur eine Verspannung«, sagte Marlene. »Das bekommen wir weg.«
»Die wissenden, heilkundigen Hände meiner Frau«, ließ sich Paul hören, und Marlene antwortete: »Komm du noch einmal und willst
massiert werden.«
Im Unterschied zu Leonhard und mir, die wir immer vorsichtig und vernünftig miteinander sprechen, neckten sich die beiden
oft, wobei Paul in der Rolle des Skeptikers oder Ironikers gegen Marlenes Autorität opponierte, ohne sie je erschüttern zu
können, was auch nicht beabsichtigt war. Im Gegenteil, er stellte sie gerade auf diese Weise immer wieder heraus.
»Es tut mir wirklich gut«, sagte ich zu ihm hin, ohne ihn ansehen zu können, da Marlene, die hinter mir stand, meinen Kopf
geradeaus richtete. Und er antwortete: »Wem sagst du das? Ich bin eingetragenes Mitglied Nr. 1 im Fanclub meiner Frau.«
Marlene tat, als ob sie das nicht gehört hätte, und bearbeitete weiter mit kreisenden Fingerspitzen meine Schläfen.
»Gut so?« fragte sie, und ich bestätigte es.
»Du liegst genau im Trend, Marlene«, begann Paul wieder.
Marlene, die ihre Rolle in dem kleinen Wortwechsel kannte, den die beiden uns zu unserer Unterhaltung boten, wies ihn kurz
ab: »Ich bin mein eigener Trend.«
»Gleichzeitig«, sagte er, »bist du eine Repräsentantin deiner Epoche, ob du es willst oder nicht.«
»Aha«, sagte Marlene, die sich ganz auf die Massage meiner Schläfen zu konzentrieren schien. Es hörte sich an, als habe sie
gesagt: Mach ruhig weiter mit deinem Unsinn. Bin gespannt, was dir sonst noch einfällt.
»Das ist die aktuelle Magie«, fuhr Paul fort. »Alle Welt schwört heute auf Handauflegen und Hautkontakt.«
»Ich auch«, sagte ich.
»Natürlich«, sagte Paul, »sonst funktioniert es ja nicht. Wir sollten alle mal nach Kalifornien fahren, ins Zentrum dieser
Berührungskulte.«
»Warst du schon mal da?« fragte Leonhard, der eine Zeitlang geschwiegen hatte und sich nun meldete, weil er eine Gelegenheit
sah, das spielerische Geplänkel zu unterbrechen und dem Gespräch, das an ihm vorbeigelaufen war, eine andere Richtung zu geben.
Er hatte sich eine Weile damit beschäftigt, Wein nachzugießen und eine neue Flasche zu öffnen. Als er sich jetzt wieder in
die Unterhaltung einmischte, überkam mich wie ein Schwall verbrauchter Luft die Langeweile. Es war mir peinlich, wie wenig
Gespür er für die Situation hatte. Wollte er jetzt wirklich Reiseerinnerungen über Kalifornien mit Paul austauschen?
»Nein, ich war noch nie da«, sagte Paul.
»Auch nicht zu einem medizinischen Kongreß? Kalifornien ist doch für Kongresse sehr beliebt.«
»Ich hatte zwei Einladungen, mußte aber leider beide absagen.«
Es entstand eine Pause. Marlenes Fingerspitzen lösten sich von meinen Schläfen und begannen meinen Nacken zu massieren. Ich
rechnete damit, daß Leonhard sich über den Sinn und Unsinn von wissenschaftlichen Kongressen verbreiten würde. Statt dessen
sagte Paul etwas Merkwürdiges, das ich nicht verstand.
»Kalifornien ist meine Fahrt zum Leuchtturm.«
»Was bitte?« fragte Leonhard.
Marlene, die mit beiden Händen an meinen Halswirbeln entlangstrich und nach Verspannungen suchte, sagte nebenbei: »Paul spielt
auf einen Roman von Virginia Woolf an, den ich gerade gelesen
Weitere Kostenlose Bücher