Der Liebeswunsch
anfangen
sich abzulösen.
Wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Kaltes Wasser sollte gut sein, Brandsalbe nicht, hatte sie gehört. Kaltes, sauberes
Wasser zur Kühlung der Haut. Weder Eiweiß noch Eidotter, wie ihr einmal eine Köchin geraten hatte. Sie hatte vermutlich Eiweiß
gesagt. Wie kam sie überhaupt darauf? Sie wagte nicht, ihn hochzuheben und nach oben ins Badezimmer zu tragen. Am besten übergoß
sie ihn gleich hier in der Küche mit kaltem Wasser. Oder war das nur ihre Panik, die ihr das einflüsterte?
Er schrie immer noch. Fühlte er sich verlassen? Oder war er nicht klar bei Bewußtsein?
Frau Schütte stand in der Tür.
»Um Gottes willen, was ist passiert?«
»Er hat sich verbrüht. Rufen Sie den Krankenwagen!«
Frau Schütte nickte und verschwand. Sie ließ kaltes Wasser in einen Kessel und hörte durch die offene Tür, wie Frau Schütte
am Telefon zweimal deutlich Straße und Hausnummer durchsagte. Neben ihr knackte die Herdplatte, die rot zu werden begann.
Mit einem schnellen Griff schaltete sie den Herd aus, während sie mit der anderen Hand Daniel an seinem unverletzten Arm festhielt,
um dann vorsichtig, als tränke sie eine kleine Pflanze, Wasser über seine flammende Schulter zu gießen. Er zuckte, wollte
sich losreißen, und sie überlegte wieder, ob es nicht doch besser sei, ihn ins Badezimmer zu tragen und unter die Dusche zu
stellen. Aber vielleicht mußte er vorher etwas trinken, damit er sich beruhigte. Er schrie immer noch, und um den Schmerz zu lindern, goß sie den Rest des Wassers aus dem Kessel über die verbrühte
Haut auf Schulter, Brust und Rücken, während sie beschwichtigend auf ihn einredete: »Das tut gut. Das kühlt. Das tut bestimmt
gut.« Er stand jetzt in einer wachsenden Lache, die als ein Ausdruck ihrer Panik den Küchenboden überschwemmte, und schien
sie überhaupt nicht zu hören, als sie ihn fragte, ob er etwas trinken wolle.
Frau Schütte kam vom Telefon zurück und starrte auf das schreiende Kind und die Wasserlache, bevor sie sagte: »Sie kommen
sofort! Wir sollen ihn hinlegen.«
Wenn sie gleich kamen, hatte es auch keinen Sinn mehr, Daniel erst die Treppe rauf- und dann wieder runterzutragen. Das würde
ihm nur unnötige Schmerzen machen. Statt dessen hielt sie ihm das Glas an die Lippen und bat ihn, aufzuhören mit dem Weinen
und zu trinken, flößte ihm dann einfach etwas Wasser ein, damit er gezwungen war zu schlucken. Fast alles lief ihm wieder
aus dem Mund.
»Komm«, sagte sie, »wir gehen nach nebenan, dann kannst du dich da auf die Couch legen, und gleich ist der Doktor da.«
Sie hatte in der einen Hand das Wasserglas und in der anderen seine Hand, an der sie ihn mit sich zog. Frau Schütte kam gerade
mit dem Laken die Treppe herunter und breitete es auf der Couch aus, und beide achteten darauf, daß Daniel sich auf die unverletzte
Seite legte, schlugen dann vorsichtig das Laken um ihn herum. Besorgt sah sie, daß sich am Schlüsselbein und am Hals die Haut
weißlich zu blähen begann. Sie hatte zwar reichlich Wasser über die Stellen gegossen, aber es schien nicht zu helfen. Vielleicht
sollte sie ihn nötigen, noch mehr zu trinken. Das war schwierig, weil erauf der Seite lag. Sie stützte seinen Kopf und versuchte ihm etwas einzuflößen. Wieder floß ihm das Wasser zum Mundwinkel
heraus. Er wimmerte nur noch und machte einen abwesenden Eindruck, der sie ängstigte. Doch in der Ferne antwortete dem Wimmern
jetzt das Horn des Rettungswagens, der sich einen Weg durch das vormittägliche Verkehrsgewühl der Stadt bahnte. Es war ein
Doppelton, der immer lauter und fordernder wurde, eine kurze Zeit aussetzte und dann, deutlich näher und lauter, wieder ertönte.
Wahrscheinlich überfuhr der Wagen eine nahe Kreuzung, um mit schmetterndem Doppelton in das Wohnviertel einzubiegen. Frau
Schütte ging zur Haustür, um zu öffnen, und der letzte Hornstoß drang lauter als alle vorhergegangenen Signale ins Haus.
Da waren sie! Sie hörte Männerstimmen und das Zufallen von Autotüren, gleich danach Frau Schüttes Stimme, die die Leute hereinführte.
Es waren zwei Krankenpfleger mit einer Trage und ein junger Arzt mit seinem Notfallkoffer. Er warf einen Blick auf Daniel
und ließ sich von ihr kurz erklären, was passiert war und was sie unternommen hatte. Dann schlug er vorsichtig das Laken beiseite,
um sich die verbrühten Hautflächen anzusehen. Er war sichtlich beeindruckt.
»Das ist ja
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