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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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heftig«, sagte er.
    »Ist es gefährlich?« fragte sie.
    Der Arzt wiegte den Kopf, und die Bedenklichkeit seiner Miene verstärkte sich.
    »Ich bin kein Spezialist«, sagte er. »Aber das sind mindestens fünfzehn Prozent der Hautoberfläche und das meiste zweiten
     Grades. Er kommt auf jeden Fall auf die Isolierstation. Ich gebe ihm vorher noch eine Spritze gegen die Schmerzen und zur
     Beruhigung.«
    Sie konnte ihren Puls in den Ohren als ein dumpfes Trommeln hören, während sie zusah, wie der Arzt seinen Koffer öffnete und
     die Spritze aufzog.
    »Ich nehme an, Sie kommen mit«, sagte er zu ihr.
    »Ja, natürlich«, antwortete sie.
    »Halten Sie ihn bitte einen Augenblick«, sagte der Arzt, betupfte die Einstichstelle und stach die Nadel in das Gesäß. Daniel
     jaulte auf und begann wieder zu weinen. Der Arzt packte sein Spritzbesteck ein, und die Krankenpfleger breiteten eine dünne
     Metallfolie, die auf einer Seite silbrig, auf der anderen Seite goldfarben glänzte, hinter Daniels Rücken aus, um ihn dann
     vorsichtig darauf zu rollen und darin einzupacken. Das sei eine Spezialfolie, an der die verletzte Haut nicht festklebe, erklärte
     der Arzt. Sie nickte, um zu zeigen, daß sie es verstanden habe und es als sinnvolle Maßnahme anerkenne, doch zugleich schockierte
     sie der Anblick des metallisch umwickelten Kinderkörpers, den die Krankenpfleger wie ein festlich verpacktes Geschenk auf
     die Trage legten.
    »Wir wollen fahren«, mahnte der Arzt. Aber sie mußte noch rasch nach oben, um ihre Tasche mit Schlüsselbund und Geld zu holen.
     Frau Schütte stand wartend in der offenen Haustür und flüsterte ihr wie eine geheime Losung »Alles Gute« zu. Der Motor des
     Rettungswagens lief, als sie in den Transportraum einstieg, der Fahrer startete so plötzlich, daß sie umkippte und der Arzt
     sie stützen mußte. Sobald sie aus der Wohnstraße heraus waren, schaltete der Fahrer das Martinshorn ein, dessen weithin gellender
     Doppelton den Weg freimachte. Während der Arzt in kurzen Abständen den Blutdruck kontrollierte, schaute sie in Daniels kleines,
     wie geschrumpft wirkendes Gesicht. Seine Augen hatten einen glasigen Blick, der ihren Blick nicht mehr erwiderte. Helles Licht flackerte durch die schmalen Zwischenräume der Jalousien
     und erinnerte sie daran, daß die Stadt von der leuchtenden Helligkeit eines Frühlingstages erfüllt war. Vor einer halben Stunde
     war noch nichts passiert, dachte sie. Aber zu den Augenblicken, als noch alles zu verhindern war, konnte sie nicht mehr zurück.
     
    Im Krankenhaus, wo Daniel mitsamt der Trage auf ein Rollgestell geladen und eilig durch einen langen Gang in einen Behandlungsraum
     der Notaufnahme gefahren wurde, während eine Krankenschwester sie in einen Warteraum verwies, verstärkte sich ihr Gefühl,
     nicht mehr gleichauf mit den Ereignissen zu sein und aus der Zeit, in der Daniels Leben sich abspielte, vertrieben zu werden.
     Sie saß in einem zum Gang hin offenen Raum zusammen mit einigen wartenden Leuten, die möglichst weit voneinander entfernt
     Platz genommen hatten, als wollten sie vermeiden, einander zu bemerken. Auf dem Gang eilten Krankenschwestern, Pfleger und
     Ärzte in beiden Richtungen vorbei, ohne einen Blick in den nischenartigen Raum zu werfen. Ab und zu wurde im Lautsprecher
     ein Name aufgerufen, worauf einer der Wartenden sich von seinem Sitz erhob und lautlos verschwand.
    Dies war wohl nicht der Warteraum des Zentrums für Brandverletzungen, sondern die allgemeine Ambulanz, in die sie irrtümlich
     verwiesen worden war. Sie wußte nicht, wen sie hier ansprechen sollte, um nach Daniel zu fragen. Man hatte ihn ihr ohne weitere
     Erklärungen weggenommen. Und sie war ja auch die Schuldige, mit Recht dazu verdammt, zu warten, ob die Ärzte den Schaden an
     ihrem Kind wieder gutmachten.
     
    Schließlich kam eine Schwester und forderte sie auf mitzukommen. Sie fuhren in den 5. Stock, wo Daniel jetzt in der Isolierstation
     lag. Wieder mußte sie warten. Diesmal an einem kleinen runden Tisch am Ende des Ganges, wo im rechten Winkel ein weiterer
     langer Gang abzweigte, der wohl zu einer anderen Station gehörte. Niemand war dort im Augenblick zu sehen. Wie in all den
     anderen fensterlosen Korridoren strahlten flache milchweiße Lichtkästen an der Decke ihr gleichmäßiges sachliches Licht aus.
     Es war eine zeitlose, milde Helligkeit, die sich tags und nachts nie veränderte, als bildete sie den grundsätzlichen Widerspruch
     zu den

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