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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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lassen.«
    Wieder machte er eine Pause. Aber anscheinend nicht, weil sie so schroff geantwortet hatte, sondern weil er erst jetzt zur
     Sache kam.
    »Wo kann ich dich eigentlich erreichen, wenn du im Sender bist?«
    »Wozu willst du das wissen?« fragte sie überrascht.
    »Es kann ja mal nötig sein. Zum Beispiel wegen Daniel.«
    Das Argument hat er sich vorher zurechtgelegt, schoß es ihr durch den Kopf. Aber was will er? Kontrollieren, ob ich auch da
     bin? Oder hat er einen anderen Verdacht? Kann ich ihn in eine falsche Richtung lenken? Das war dann vielleicht eine Chance,
     ihre heimlichen Treffen mit Paul eine Zeitlang vor seinem Mißtrauen zu schützen.
    »Ich möchte nicht, daß du mich im Sender anrufst. Ich rufe dich auch nicht im Gericht an.«
    »Aber das hast du doch schon einige Male gemacht«, sagte er verblüfft.
    Ja, es war ein schwaches Argument, aber vielleicht gerade deshalb kein schlechtes. Ein Nebenweg, eine falsche Fährte. Es täuschte
     eine Täuschungsabsicht vor.
    »Ich finde deine Frage seltsam«, sagte sie. »Ich möchte nicht, daß du mich im Sender anrufst. Und mein Redakteur möchte das
     sicher auch nicht.«
    »Du kannst mir doch seinen Namen sagen. Das ist einfach nur selbstverständlich.«
    »Für dich ist vieles selbstverständlich, Leonhard, was für andere Menschen anders aussieht.«
    »Ich glaube, darüber sollten wir jetzt nicht streiten. Ich habe dich schließlich nur um eine simple Information gebeten.«
    »So siehst du es. Ich finde, daß du dich zu sehr in meine persönlichen Belange einmischst.«
    »Sind das deine persönlichen Belange – der Name deines Redakteurs und die Telefonnummer der Redaktion?«
    »Ursprünglich nicht – aber du machst es dazu. Das verstehst du leider nicht. Es hat übrigens auch keinen Zweck, mich im Sender
     anzurufen, denn ich treffe mich mit Frank meistens in einem Café.«
    »Um das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden?«
    »Ja«, sagte sie.
    Dann fügte sie hinzu: »Ich bin dir immer zu weit entgegengekommen. Das ist mein Hauptfehler.«
    »Und ich nehme an, du willst mir sagen, daß ich daran schuld bin?«
    »So habe ich es eine Zeitlang gedacht. Das tue ich aber nicht mehr.«
    »Na gut, das wäre ja ein Fortschritt.«
    Sie wollte antworten, er brauche das nicht im Konjunktiv zu sagen. Statt dessen griff sie nach ihrem Glas und trank es leer.
    Die Flasche stand dicht bei Leonhard, außerhalb ihrer Reichweite. Es war noch ein Rest darin, der für knapp zwei Gläser reichte.
     Diesmal zeigte Leonhard keine Bereitschaft, ihr Glas nachzufüllen. Wahrscheinlich wollte er noch länger mit ihr reden, hatte
     aber Bedenken, eine weitere Flasche Rotwein aus dem Keller zu holen. Konnte sie jetzt einfach aufstehen und gehen? Sie wußte
     nicht, wie sie es begründen sollte, weil der einfachste Grund, daß sie müde sei, ihr selbst wie ein Vorwand erschien. Leonhards
     Versuch, mit ihr über ihre Ehe zu sprechen, war berechtigt, aber er kam zu spät. Obwohl es ihnen auch zu einem anderen Zeitpunkt
     nicht geholfen hätte.
    Sie starrte auf die dunkelrote Flüssigkeit. Ein Zittern drang in ihre Glieder, das sie nur mühsam beherrschen konnte. Das
     lag vor allem an Leonhards bedrückender Gegenwart. Nun redete er wieder. Er sagte, daß ihr Gespräch sinnvoll und nützlich
     gewesen sei. Sie müßten es unbedingt fortsetzen bei nächster Gelegenheit. Sie hörte nurhalbwegs zu, gerade so viel, daß sie ja oder nein oder ich weiß nicht sagen konnte, wenn es erforderlich war. Ein lähmendes
     Gefühl von Aussichtslosigkeit überkam sie, während er auf sein Resümee zusteuerte. Gleich würde er den restlichen Wein ausschenken
     und mit ihr anstoßen wollen. Sie sah schon diese unvermeidliche Geste, mit der sich die Hoffnung auf Erleichterung verband,
     die sie mit in den Schlaf nehmen wollte. Mit geschlossenen Augen wollte sie ihr Einschlafbild beschwören: Am Ende eines langen
     Korridors von mehreren Tagen Zeit sieht sie, wie eine von Dunkelheit umschlossene Ikone, das fremde Zimmer, wo sie im Bett
     liegend darauf wartet, daß sie die leise Drehung von Pauls Schlüssel im Türschloß hört und vorübergehend gerettet ist.
     
    Wie immer bangt sie an dem Tag der Verabredung, daß er nicht kommen kann. Es ist noch nie eingetreten, aber es wird eines
     Tages geschehen. Sie muß jedesmal daran denken, wenn sie die fremde Haustür aufschließt und das enge, halbdunkle Treppenhaus
     sie empfängt, die schmalen grauen Steinstufen und das eiserne Geländer

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