Der Liebeswunsch
zusammen mit ihrem Goldschmuck luxuriös aus. Sibylle war
der Typ, der so etwas tragen konnte. Sie hatte Klasse, und das wußte sie. Sie hatte die sichere Schönheit einer erwachsenen
Frau, die noch lange schön bleiben würde, unangefochten durch die Zeit und durch das Leben.
»Du mußt mir viel von dir erzählen«, sagte sie.
Der Ober kam und fragte, was er ihnen als Aperitif servieren dürfe. Sie blickte kurz in die Karte und sagte: »Einen Kir Royal.«
»Mir auch«, sagte er.
Dann schauten sie in die Speisekarten, die der Ober gebracht hatte. Er spürte auf einmal, daß er Hunger hatte.
»Ich glaube, ich werde mir ein Hammelkotelett mit grünen Bohnen genehmigen«, sagte er.
»Du glaubst?« fragte sie. »Du wirst es tun. Du bist doch jemand, der sich seine Wünsche erfüllt.«
Er schaute sie an und sagte: »Aber manchmal brauche ich Ermutigung.«
Sein altes, längere Zeit verschüttetes Gefühl, daß das Leben in den Geheimfächern der Zukunft immer neue, andere Möglichkeiten
für ihn bereithielt, begann sich wieder in ihm zu regen.
Es wurde ein angenehmer, angeregter Abend, und als sie fast vier Stunden später aufbrachen, fühlte er sich trotz des abschließenden
doppelten Espressos ein wenig umnebelt von dem schweren Bordeaux, den er getrunken hatte, und entschloß sich, zu Fuß nach
Hause zu gehen. Es war ein Weg von einer guten halben Stunde, und es würde ihm guttun, sich zu bewegen. »Laß von dir hören«,
hatte Sibylle zum Abschied gesagt und leiser, gewissermaßen persönlich hinzugefügt: »Vor allem, wenn du wieder einmal zu einem
Kongreß fährst.« Sie hatte eine kühne, riskante Art zu reden, die vieles andeutete, aber alles offenließ. Es war ein Spiel
mit Möglichkeiten, bei dem nie ganz deutlich wurde, wie ernst es gemeint war. Immerhin hatte sie ihm zum Abschied wieder einen
Kuß gegeben. Auch das konnte sie auf ihre elegante doppeldeutige Art vor anderen Augen als eine spielerische Extravaganz erscheinen
lassen. Es hatte sich für ihn aber anders angefühlt.
Seltsam, die ganze Zeit hatte er nicht an Anja gedacht. Und als sie ihm jetzt wieder einfiel, sah er sie ferner gerückt, wie
von einem anderen Ufer aus. Das kollegiale Milieu, dem er im ersten Augenblick fremd gegenübergestanden hatte, als er von
Anja kam, hatte ihn so fest umschlossen, daß er sie vorübergehend vergessen hatte. Sie war natürlich längst zu Hause bei Leonhard
und ihrem Kind, gezwungen, sich einem alltäglichen Leben anzupassen, das sie immer weniger ertrug. So konnte er es von sich nicht sagen. Seine Ehe mit Marlene
hatte nicht mehr das Feuer der ersten Jahre und war durch die Affäre mit Anja etwas in den Hintergrund geraten. Aber er hatte
sie, außer in manchen Augenblicken, nie in Frage gestellt. Er mußte nur sorgsam die Klippen umschiffen, an denen er mit seinem
Doppelleben scheitern konnte. Morgen, wenn Marlene sich von ihrem Nachtdienst ausgeschlafen hatte und er aus der Klinik nach
Hause kam, würde er ihr von dem netten Abend unter Kollegen erzählen, an dem er an ihrer Stelle teilgenommen hatte. Vielleicht
würden sie auch zusammen essen gehen. Sorgen machte ihm nur der anstehende Abend zu viert, denn er mußte fürchten, daß Anja
das nicht durchstand. Auch er hatte kein Interesse mehr daran. Diese Freundschaft zu viert war eine Konstruktion, die immer
brüchiger wurde. Nur Leonhard und Marlene, vor allem aber Marlene, hielten an dieser Tradition fest, vielleicht weil sie nicht
wußten, wie man sie beenden konnte.
Wieder fiel ihm Anja ein. Wie sollte er diese Geschichte beenden, ohne daß es eine Katastrophe gab? Sie war eine völlig andere
Frau als Sibylle, mit der man vermutlich nie in eine solche Zwangssituation geraten konnte, weil sie zu selbstgefällig und
zu unabhängig war. Mit Anja war das anders, ganz anders. Sie war eine Freiheitsberaubung, aber mit der wundersamen Kraft,
ihn dazu zu bringen, sich immer wieder danach zu sehnen.
Er hatte leichte Kopfschmerzen und war ziemlich müde. Er genoß es trotzdem, durch die Dunkelheit und die immer noch milde
Nachtluft zu gehen, alleine und ganz für sich, eine Zeitlang. Das Treffen mit Anja, das Abendessen mitden Kollegen, alles war weggerückt wie eine Erinnerung an einen schon länger vergangenen Tag. Er war jetzt in dem Villenviertel
angelangt, in dem sie wohnten. Zwei Straßen weiter, ein wenig abgerückt von der Straße, lag das Haus, das Marlenes elterliches
Erbe war. Gelegentlich
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