Der Liebhaber meines Mannes
zugleich Zuschauer und Posierende waren, zuschauten und sich ohne Zweifel bewusst waren, dass ihnen zugeschaut wurde. Auf der Rückseite schriebst du: »Nach diesem Maler sind die kalten Rindfleischscheiben benannt, die sie hier essen. Roh, aufregend rot: dünn wie Haut. Venedig ist zu schön, um es zu beschreiben. Patrick.« Darunter hatte Tom geschrieben: »Reise war lang, aber o.k. Eine tolle Stadt. Vermisse dich. Tom.« Du hattest ganze Arbeit geleistet und alles gesagt, und Tom hatte absolut nichts gesagt. Ich hätte beinahe über den Gegensatz gelacht.
Sie kam mit der Post, da wart ihr schon Tage wieder da, und ich habe sie sofort verbrannt.
Ihr beide seid an einem Freitagmorgen Mitte August gefahren. Tom hatte sich einen Koffer von dir geliehen und die ganze Woche gepackt, indem er Sachen herausgenommen und wieder eingepackt hatte. Er packte seinen Hochzeitsanzug ein, musste es aberheimlich, in letzter Minute, getan haben, denn ich bemerkte es erst, als Tom schon fort war, dass er aus unserem Schrank verschwunden war, und berührte den leeren Holzbügel, auf dem er seit März gehangen hatte. Tom hatte sich auch einen Reiseführer über Italien aus der Bücherei geliehen. Ich sagte ihm, dass das sinnlos sei, da du schon oft dort gewesen wärst, und ich wusste, du würdest Toms Reiseführer spielen. Hattest du uns beiden nicht schon oft von den erstaunlichen Vaporetti erzählt und was man in der Galleria Academia unbedingt gesehen haben musste?
Dennoch las ich den Abschnitt über Venedig in dem Reiseführer. Tom hatte gesagt, dass er nicht wüsste, wo ihr wohnen oder was ihr tun würdet, wenn ihr dort wärt. Das würdest du wissen. Er lächelte und sagte: »Ich denke, ich werde einfach ein bisschen allein herumlaufen. Patrick wird arbeiten müssen.« Ich wusste, dass du das niemals zulassen würdest. Ich überflog den Reiseführer und dachte mir, du würdest es dir nicht nehmen lassen, Tom die Hauptattraktionen am ersten Tag zu zeigen. Vielleicht anstehen, um auf den Campanile zu steigen wegen der Aussicht, die dem Buch zufolge das Warten wert ist. Ihr würdet einen Kaffee im Florian trinken und du würdest – ohne im Buch nachzulesen – wissen, dass man nach elf Uhr morgens keinen Cappuccino bestellt. Du würdest ein Foto von Tom auf der Rialtobrücke machen. Ihr würdet den Tag vielleicht mit einer Gondelfahrt beenden, nebeneinander würdet ihr beide die laut Reiseführer »herrlichen Wasserstraßen der Stadt« entlanggleiten. »Kein Besuch«, heißt es weiter im Führer, »ist vorstellbar ohne eine Gondelfahrt, besonders für Paare in den Flitterwochen.«
Inzwischen war ich selbst in Venedig. In diesem September, während einer organisierten Opernreise nach Verona war ich mit einer Busladung Fremder dort, von denen die meisten in meinem Alter waren und allein reisten wie ich. Tom und ich machen nun schon seit vielen Jahren getrennt Urlaub, und wenn beim ReisenFragen kommen, wo mein Mann gerade ist, bemühe ich mich immer, sie mit einem Lachen abzutun. Oh, sage ich, er hasst die Oper. Oder Gärten. Oder historische Häuser. Was es gerade ist.
Ich habe Tom nie erzählt, dass die Reise nach Verona einen Tagesausflug nach Venedig einschloss.
Venedig
ist eines der vielen Wörter, das wir untereinander nicht benutzen, seitdem du mit ihm dort warst. Ich hatte es mir oft vorgestellt, aber nichts hätte mich darauf vorbereiten können, wie die Stadt wirklich aussah, wie schön alles war, sogar die Regenrinnen und dunklen Seitengassen und Wasserbusse. Alles. Während ich allein in der Stadt herumlief, hatte ich Bilder von euch beiden im Kopf. Ich sah euch am Bahnhof Santa Lucia ankommen, aus dem Zug ins Sonnenlicht treten wie Filmstars. Ich sah euch zusammen über Brücken gehen, eure Spiegelbilder undeutlich im Wasser schimmern. Ich sah, wie ihr dicht beieinander am Kai gestanden und auf ein Vaporetto gewartet habt. In jeder »calle«, jedem »sotoportego« stellte ich mir euch beide vor, mir die Rücken zugewandt, die Köpfe einander zugeneigt. Du hast Tom in dieser sonderbaren und großartigen Stadt wieder intensiver wahrgenommen. Es hat dir gefallen, wie seine blonden Haare und kräftigen Glieder in der dunklen, quirligen venezianischen Menge auffielen. Es gab einen Moment, da hätte ich beinahe geweint: als ich auf den kühlen Treppenstufen von Santa Maria della Salute saß und ein Paar beobachtete, zwei junge Männer, die zusammen in einem Führer lasen, jeder behutsam die Seite am Rand haltend und die
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