Der Liebhaber meines Mannes
alles über Sie erzählt.«
Roy ignorierte die Bemerkung und wandte sich an Sylvie. »Los, komm. Ich bring dich nach Hause.«
»Willst du nichts trinken?«, fragte Sylvie, die Wörter halb verschluckend. »Das tust du doch sonst immer.«
»Wie geht’s dir, Roy?«, fragte ich, um die Situation zu entschärfen.
»Blendend, danke Marion«, sagte Roy, immer noch seine Frau ansehend.
»Und Kathleen?«
»Sie ist ein kleiner Schatz. Stimmt’s, Sylvie?«
Sylvie nahm einen großen Schluck und sagte: »Verdammt, es ist noch nicht mal Sperrstunde … «
Roy spreizte als scheinbare Geste der Hilflosigkeit weit die Hände. »Aber nun bin ich hier. Los komm, zieh deinen Mantel an. Deine Tochter wartet auf dich.«
Jetzt wurde Sylvies Gesicht knallrot.
»Warum trinkst du nicht was mit uns, Roy?«, versuchte ich es noch einmal. »Danach gehen wir.«
»Ich hole es«, sagte Julia und stand auf. »Was nehmen Sie, Roy?«
Roy machte eine Bewegung zur Seite und versperrte Julia den Weg. »Schon gut, meine Liebe. Trotzdem danke.«
Julia und Roy sahen sich an. Sie sah viel größer aus als er und ich musste ein Kichern unterdrücken. Versuch nur, dich ihr den Weg zu stellen, dachte ich. Das würde ich gerne sehen.
Sylvie knallte ihr Glas hin. »Tut mir leid, Mädels«, murmelte sie und begann, den Mantel anzuziehen. Sie brauchte ein paar Versuche, um die Ärmel zu finden, und niemand half ihr. Als sie mich ansah, waren ihre Augen so feucht, dass ich mich fragte, ob sie gleich weinen würde.
Während Roy seine Frau am Arm festhielt, drehte er sich zu mir um und sagte: »Hab gehört, dein Tom ist in Venedig. Muss nett sein, so einen Freund zu haben. Jemand, der mit dir wohin fährt.«
Sylvie stieß Roy an die Schulter. »Los komm«, sagte sie. »Wenn wir schon gehen müssen, dann lass uns jetzt los.« Von der Tür winkte sie Julia und mir resigniert zu.
Nachdem sie gegangen waren, blickte Julia in ihr Glas und lachte kläglich. »Er ist ein bisschen … tyrannisch, oder?«
»Er weiß nichts über sie«, sagte ich, verwundert über meine hasserfüllte Stimme. Ich war plötzlich empört über Roys Benehmen. Ich wäre den beiden am liebsten nachgelaufen und hätte ihn angeschrien:
Sie hat dich in eine Falle gelockt. Sie war nicht schwanger, als du sie geheiratet hast! Wie konntest du nur so dumm sein?
Aber Julia legte eine Hand auf meinen Ellbogen und sagte: »Ich weiß nicht. Sie scheinen ganz gut zusammenzupassen. Und er ist tatsächlich
unwiderstehlich.«
Ich versuchte zu lachen, merkte aber, dass ich den Tränen nahe war und nicht einmal lächeln konnte. Julia musste mir meinen Kummer angesehen haben, denn sie sagte: »Wollen wir bei mir was trinken? Wir können durch den Park gehen.«
Der Abend draußen war warm und still. Nach all dem Portwein schienen mich meine Beine beinahe mühelos den Berg hinunterzutragen, und als wir durch den mächtigen Portikus gingen, schob Julia ihren nackten Arm durch meinen. Ich roch die ungeheure Süße von Geißblatt und Orangenblüten, vermischt mit verfaultem Essen und Bier aus den Abfallbehältern des Parks. Wir gingen schweigend über das trockene Sommergras, blieben beim Rosengarten stehen. Im schwachen Schein einer der wenigen Parklampen leuchteten die Blumen im tiefsten Rot und mir fiel auf, dass es die Farbe innerer Organe war. Vielleicht wie meine inneren Organe. Geheimnisvoll und sich ständig verändernd. Julia nahm eine Blüte und sog den Duft ein. Ich sah, wie die Blütenblätter ihre blasse Haut berührten, ihre Lippen beinahe die Blume trafen.
»Julia«, sagte ich und trat nah an sie heran. »Ich weiß nicht, was ich wegen Tom machen soll.«
Wir sahen uns an. Julia schüttelte den Kopf und lachte schwach. »Er kennt dich auch nicht, was?«, sagte sie leise.
»Was du gesagt hast«, begann ich, »über Patrick …« Aber weiter kam ich nicht und es entstand ein kurzes Schweigen.
»Wir müssen darüber nicht sprechen, wenn du nicht willst, Marion.«
»Was du gesagt hast«, begann ich noch einmal, schloss die Augen und holte tief Luft. »Es stimmt und ich glaube, Tom ist auch so.«
»Du musst es mir nicht sagen«, sagte sie.
»Sie sind in Venedig. Zusammen.«
»Das hast du gesagt.« Julia seufzte. »Männer haben so eine Freiheit. Sogar verheiratete.«
Ich starrte auf den Boden.
»Komm, wir setzen uns hin«, sagte sie und führte mich zu einem Stück schwarzen Rasens unter einer Weide. Ich weinte nicht, Patrick. Ich fühlte mich seltsam leicht. Dass ich es
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