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Der Liebhaber meines Mannes

Der Liebhaber meines Mannes

Titel: Der Liebhaber meines Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bethan Roberts
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eine Wärmflasche unter das Kissen auf meinem Stuhl.«
    Sie grinste. Ich legte meinen Füllfederhalter hin. Offensichtlich würde sie nicht gehen, bevor wir ein Schwätzchen gehalten hatten.
    Julia war in der privilegierten Position, im Lehrerzimmer einen eigenen Stuhl zu haben. Sie war zu jedem freundlich, aber ich hatte bemerkt, dass sie wie ich ihren Lunch gewöhnlich allein einnahm, die Augen selten von ihrem Buch hob, während sie sorgfältig von ihrem Apfel abbiss. Nicht, dass sie schüchtern war, sie sah die männlichen Kollegen – sogar Mr Coppard – an, wenn sie sprach. Und sie organisierte außerdem Schulausflüge in die Downs. Sie war bekannt dafür, ohne Rast meilenweit mit den Kindern zu wandern und sie zu überzeugen, dass es ungeheuren Spaß machte, egal, bei welchem Wetter.
    Ich begann, meine Arbeitsbögen auf einen Haufen zu sammeln. »Ich habe gar nicht gemerkt, wie spät es ist«, sagte ich. »Ich gehe jetzt besser.«
    »Wo wohnst du noch mal?«, fragte sie, als hätte ich es schon mal erwähnt.
    »Nicht sehr weit.«
    Sie lächelte und kam herein. Sie trug ein Wollcape, hellgrün, und eine teuer aussehende Aktentasche aus weichem Leder und ich dachte, wie viel besser sie doch war als ein Korb.
    »Wollen wir gemeinsam hinaus in die Kälte?«
    »Also, wie kommst du zurecht?«, fragte Julia, als wir rasch die Queen’s Park Road hinuntergingen. »Ich war mir nicht sicher, ob du den ersten Tag überstehen würdest. Du schienst vor Angst wie erstarrt.«
    »Das stimmt«, sagte ich. »Ich dachte, ich müsste mich übergeben und auf deine Schuhe spucken.«
    Sie blieb stehen und sah mich an, ohne zu lächeln. Ich dachte, sie würde mir gleich gute Nacht sagen und sich in die andere Richtung aufmachen. Stattdessen kam sie näher und sagte ernst: »Das wäre eine Katastrophe gewesen. Das sind meine besten Schuhe. Ich habe Metallplatten unter die Hacken gemacht, um die Kinder zu warnen, dass ich komme. Ich nenne sie meine Hufe.«
    Einen Moment war ich nicht sicher, wie ich darauf reagieren sollte. Dann warf Julia den Kopf zurück und brüllte laut, wobei sie ihre geraden Zähne zeigte, und ich wusste, es war in Ordnung zu lachen.
    »Funktionieren sie?«, fragte ich.
    »Was?«
    »Die Hufe.«
    »Darauf kannst du wetten. Wenn ich beim Klassenzimmer angekommen bin, sind sie still wie Tote. Ich kann mit ihnen machen, was ich will, und sie geben keinen Pieps von sich.«
    »Solche könnte ich auch gebrauchen.«
    »Sie setzen dir zu, was?«
    »Nicht wirklich.« Ich hielt inne. »Alice Rumbold ist eine kleine … «
    »Rotznase?«
    Julias Augen waren schmal und funkelten. Sie forderte mich wieder zum Lachen heraus. Ich tat es.
    »Für Alice brauchst du auf jeden Fall Hufe«, schloss sie.
    Als wir an der Ecke angekommen waren, an der meine Straße einmündete, drückte Julia meinen Arm und sagte: »Das sollten wir wiederholen.«
    Als der Frühling näher rückte, wurde ich noch ungeduldiger. Tom hatte mich auf die Wange geküsst und meine Hand gehalten undwir sahen uns mindestens einmal die Woche, meistens warst du dabei. Aber das reichte mir nicht. Meine Mutter erinnerte mich gerne daran, dass es für mich noch nicht zu spät war. Noch nicht.
    Ich bin mir nicht ganz sicher, wann früher der schreckliche Moment gekommen war, der Moment, in dem über eine Frau das Urteil gefällt wurde, dass sie übrig geblieben war. Immer wenn ich daran dachte, dachte ich an das Ticken einer alten Uhr. Viele der Mädchen, die ich von der Schule kannte, waren schon verheiratet. Ich wusste, ich hatte noch einige Jahre Zeit, aber wenn ich nicht aufpasste, würden die anderen Lehrer mich bald genauso ansehen, wie sie Julia ansahen, eine alleinstehende Frau. Eine Frau, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten muss, die zu viele Bücher liest und die man am Samstag mit einem Trolley beim Einkaufen sieht statt mit einem Kinderwagen oder einem Kind im Schlepptau. Die eine Hose trägt und es offensichtlich nicht eilig hat, nach Hause zu kommen. Die keine Eile hat, irgendwohin zu kommen.
    Ich weiß, es scheint heute unglaublich, und sicher habe ich damals (es war fast 1960, Herrgott noch mal) Gerüchte über die Existenz jenes Fabeltiers, die Karrierefrau, gehört, aber ich bin mir ebenfalls sicher, dass ich sie verwarf. Eine dieser Frauen zu sein war das Letzte, was ich wollte. Als ich vor der Klasse stand und ihnen die Geschichte von Persephone in der Unterwelt erzählte, befiel mich Panik. Ich ließ sie Bilder von Demeter zeichnen, wie sie

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