Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Liebhaber meines Mannes

Der Liebhaber meines Mannes

Titel: Der Liebhaber meines Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bethan Roberts
Vom Netzwerk:
sah ich hochaufgeschossen, in die Länge gezogen, einfach unmöglich aus. Dagegen sah ich neben Tom fast normal groß aus; ich konnte als klassische Schönheit durchgehen, statt etwas männlich zu wirken.
    Während der Oper war ich nicht bei der Sache, konnte mich nicht voll auf das Bühnengeschehen konzentrieren, weil ich durch Toms Körper auf dem Platz neben mir abgelenkt war. Du hattest darauf bestanden, dass ich zwischen euch beiden saß (»Eine Rose zwischen zwei Dornen«, hattest du gesagt). Hin und wieder sah ich verstohlen in deine Richtung, aber du hast nicht ein einziges Mal die Bühne aus den Augen gelassen. Ich hatte gedacht, die Oper würde mir nicht gefallen – es schien so hysterisch, wie eine Pantomime zu seltsamer Musik. Aber als Carmen »L’amour est un oiseau rebelle que nul ne peut apprivoiser« sang, schien sich mein Körper zu erheben und in der letzten, schrecklichen, wunderbaren Szene griff Tom nach meiner Hand. Das Orchester tobte und Carmen wurde ohnmächtig und starb, und Toms Finger lagen im Dunkeln auf meinen. Dann war es vorbei und du sprangst auf, Patrick, klatschend und Bravo rufend und aufgeregt auf der Stelle hüpfend, und Tom und ich schlossen uns dir an, verzückt vor Begeisterung.

 
     
     
     
     
    ICH HABE DARÜBER nachgedacht, wann ich das erste Mal den Ausdruck »widernatürliche Praktiken« gehört habe. Ob du es glaubst oder nicht, es war im Lehrerzimmer von St. Luke, von den Lippen Mr R.A. Coppards MA (Oxon) – für mich Richard, für seine Freunde Dickie. Er schlürfte gerade Kaffee aus einer braun geblümten Tasse und neigte sich, die Brille abnehmend und mit einer Hand zusammenfaltend, zu Mrs Brenda Whitelady, Klasse zwölf, und runzelte die Stirn. »Wirklich?«, hörte ich sie sagen und er nickte. »Widernatürliche Praktiken, steht im ›Argus‹. Seite sieben. Armer alter Henry.« Mrs Whitelady blinzelte und nahm aufgeregt einen tiefen Atemzug. »Seine arme Frau. Arme Hilda.«
    Sie wandten sich wieder ihren Heften zu, füllten die Ränder mit kräftigen roten Häkchen und Kreuzen, ohne ein Wort zu mir zu sagen. Ich saß in der Ecke des Zimmers und war dadurch anscheinend vollkommen unsichtbar. Zu der Zeit war ich bereits einige Monate an der Schule, hatte aber immer noch keinen eigenen Platz im Lehrerzimmer. Tom erzählte, dass es auf der Wache genauso war: Auf eine Reihe von Stühlen waren anscheinend irgendwo die Namen ihrer »Besitzer« mit unsichtbarem Faden gestickt – das musste der Grund sein, warum niemals jemand anders darauf saß. Es gab ein paar Stühle drüben bei der Tür, mit abgewetzten Kissen und schiefen Beinen, die für jeden waren, das hieß für die neuesten Mitglieder des Kollegiums. Ich fragte mich, ob ich warten musste, bis ein anderer Kollege in Rente ging oder starb, bevor ich mir ein Anrecht auf einen normalen Stuhl sichern konnte. Mrs Whitelady hatte auf ihrem sogar ihr eigenes Kissen, bestickt mitvioletten Orchideen, so sehr vertraute sie darauf, dass kein anderer Hintern jemals ihren Sitzplatz berühren würde.
    Ich habe daran gedacht, weil ich letzte Nacht wieder den Traum hatte, genauso lebhaft wie vor vierzig Jahren. Tom und ich waren unter einem Tisch; diesmal war es mein Pult im Klassenzimmer in St. Luke, aber sonst war alles gleich: Toms Gewicht auf mir, das mich herunterdrückte; sein mächtiger Oberschenkel auf meinem; seine Schulter über mich gebeugt und über mich hinaus reichend wie der Boden eines Bootes. Und ich endlich ein Teil von ihm. Nicht mal Luft passte zwischen uns.
    Während ich dies schreibe, wird mir bewusst, dass mich vielleicht die ganze Zeit am meisten beunruhigte, was in mir war. Meine eigenen unnatürlichen Praktiken. Was hätten Mr Coppard und Mrs Whitelady gesagt, wenn sie gewusst hätten, was ich für Tom empfand? Was hätten sie gesagt, wenn sie erfahren hätten, dass ich ihn am liebsten in den Mund genommen und so viel von ihm geschmeckt hätte, wie ich konnte? Solche Wünsche erschienen mir damals unnatürlich für eine junge Frau. Hatte Sylvie mich nicht gewarnt, dass sie nicht viel mehr fühlte als Angst, wenn Roy sie zwischen den Beinen berührte? Meine eigenen Eltern klebten häufig in der Küche zusammen und küssten sich lange, aber auch meine Mutter schlug die Hand meines Vaters weg, wenn sie irgendwohin wanderte, wohin sie nicht sollte. »Lass mich jetzt, Bill«, sagte sie und rückte auf dem Sofa von ihm weg. »Nicht jetzt, mein Lieber.«
    Ich dagegen wollte alles und ich wollte es

Weitere Kostenlose Bücher