Der Liebhaber meines Mannes
gehört. Seine Wangen leicht gerötet. Ein Zeichen äußerster Aufmerksamkeit bei ihm.
Das Grinsen veranlasste mich weiterzumachen: »Ich habe gehofft, dich zu treffen.« Ich passte mich seinen Schritten an. »Ich arbeite an einem Projekt. Bilder von normalen Leuten. Lebensmittelhändler, Postboten, Landwirte, Verkäuferinnen Polizisten und dergleichen.«
Er sagte nichts. Unsere Schritte hatten jetzt in etwa den gleichen Rhythmus, obwohl ich schnell gehen musste, um mit seinen großen Schritten mitzuhalten.
»Und du wärst ein perfektes Modell.« Ich wusste, das ging alles viel zu schnell; aber wenn ich einmal angefangen habe zu reden, kann ich mich immer nicht bremsen. »Ich arbeite gerade an einigen Studien, aus dem Leben, mit geeigneten Leuten, so wie dir, und vergleiche sie mit alten Porträts – normale Leute aus Brighton, das muss ins Museum – das brauchen wir – findest du nicht? Wirkliche Menschen, statt all der aufgeblasenen Typen.«
An der Haltung seines Kopfes sah ich, dass er aufmerksam zuhörte.
»Ich hoffe, dass es ins Museum kommt. Gezeigt wird. Es ist Teil meines Aktionsprogramms, mehr Leute ins Museum zu holen … das heißt mehr normale Leute. Ich glaube, wenn sie dort Leute sehen, die sind wie sie, werden sie eher hineingehen wollen.«
Er hielt an und sah mich an. »Was hätte ich zu tun?«
Ich atmete aus. »Überhaupt nichts. Du sitzt einfach da. Ich zeichne. Im Museum, wenn du willst. Ein paar Stunden deiner Zeit.« Ich versuchte, meinen Gesichtsausdruck möglichst offen zu halten. Es gelang mir sogar, eine lässige Handbewegung zu machen.»Liegt natürlich ganz bei dir. Ich dachte nur, weil ich dich getroffen habe … «
Da nahm er seinen Helm ab und ich sah zum ersten Mal seine Haare, seine Haare und seine edle Kopfform. Das brachte mich beinahe aus der Fassung. Die Haare sind ganz lockig, kurz geschnitten, aber voller Leben. Eine kleine Delle verlief um seinen Kopf herum, wo der hässliche Helm gesessen hatte. Er rieb sich am Hinterkopf, als wollte er die Linie ausradieren, und setzte dann den Helm wieder auf.
»Na ja«, sagte er. »Ich bin noch nie gebeten worden, Modell zu stehen!«
Da hatte ich Angst. Angst, dass er mich durchschaute und sich vollkommen verschloss.
Stattdessen lachte er kurz und sagte: »Wird mein Bild im Museum hängen?«
»Also, vielleicht, ja. Warum nicht?«
Wir gaben uns die Hand – seine war groß und kühl –, vereinbarten einen Termin und trennten uns.
Beim Weggehen begann ich zu pfeifen und musste mich bremsen. Dann hätte ich mich fast noch einmal über die Schulter umgesehen (jämmerliche Kreatur!) und musste mich auch davon abhalten.
Den Rest des Tages hörte ich nichts mehr außer dem »Ja« meines Polizisten.
30. SEPTEMBER 1957
ES IST SCHON SEHR SPÄT und ich kann nicht schlafen. Dunkle Gedanken – böse Gedanken – treiben mich um. Ich habe immer wieder daran gedacht, den letzten Eintrag zu verbrennen. Aber ich kann nicht. Was sonst lässt ihn wirklich werden außer meinen Worten auf Papier? Da niemand davon weiß, wie kann ich mich sonst von seiner tatsächlichen Existenz, von meinen tatsächlichen Gefühlen überzeugen?
Es ist eine schlechte Angewohnheit, alles aufzuschreiben. Manchmal denke ich, es ist ein armseliger Ersatz für das wirkliche Leben. Jedes Jahr entrümpele ich – verbrenne das meiste. Sogar Michaels Briefe habe ich verbrannt. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.
Seitdem ich meinen Polizisten getroffen habe, bin ich entschlossener denn je, dass mich nichts wieder in das dunkle Zimmer zurückbringen kann. Es ist fünf Jahre her, dass ich Michael verloren habe, und ich werde mir nicht den Luxus leisten, mich noch dort aufzuhalten.
Mein Polizist ist ganz anders als Michael. Das ist eines der vielen Dinge, die ich an ihm liebe. Wenn ich an meinen Polizisten denke, fallen mir die Worte
Licht
und
Freude
ein.
Ich werde nicht wieder in das dunkle Zimmer gehen. Arbeiten hat geholfen. Feste, regelmäßige Arbeit. Malen ist gut und schön, wenn man aushalten kann zu versagen, wochenlang zu warten, bis man eine gute Idee hat, meterweise schrecklichen Mist zu produzieren, bevor man etwas Anständiges zustande bringt. Nein. Was man braucht, sind regelmäßige Zeiten. Kleine Aufgaben. Kleine Belohnungen.
Deshalb ist mein Polizist natürlich gefährlich, trotz
Licht
und
Freude.
Michael und ich, wir haben immer getanzt. Jeden Mittwochabend. Ich habe ihm immer alles recht gemacht. Feuer im Kamin gemacht. Dinner gekocht
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