Der Liebhaber meines Mannes
an, mit einem kleinen Funkeln in den Augen, aber ich verstand nicht, was sie meinte, sosehr ich es wollte.
Als sie meine Verwirrung sah, beugte sie sich zu mir und sagte für mein Gefühl nicht annähernd leise genug: »Er ist homosexuell, nicht wahr?«
Der Räucherlachs schmeckte jetzt wie ranziges Öl. Ich konnte kaum glauben, dass sie das Wort so unbekümmert ausgesprochen hatte, als würde sie sich nach deinem Sternzeichen oder deiner Schuhgröße erkundigen.
Sie muss meine Panik gespürt haben, denn sie fügte hinzu: »Ich meine – ich dachte, er wäre es vielleicht. Als ich ihn kennenlernte. Aber vielleicht täusche ich mich?«
Ich versuchte zu schlucken, aber mein Magen protestierte und mein Mund war ganz trocken geworden.
»Oje«, sagte Julia und legte eine Hand auf meinen Arm, genau so, wie sie es tat, wenn sie neben einem Kind kniete. »Ich habe dich schockiert.«
Es gelang mir zu lachen. »Nein, wirklich …«
»Es tut mir leid, Marion. Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen.«
Bobby Blakemore stand wieder einmal auf und ich bellte ihn an, sich hinzusetzen, erstickte fast an der Macht meiner Worte. Der Junge sah mich erstaunt an und sank auf die Knie.
Julia hatte immer noch eine Hand auf meinem Arm und ich hörte sie sagen: »Ich bin so ein Idiot – immer trete ich ins Fettnäpfchen. Ich dachte nur … na ja, ich nahm an …«
»Ist schon gut«, sagte ich und stand auf. »Wir sollten los, sonst ist der Nachmittag vergeudet.« Ich klatschte in die Hände und befahl den Kindern aufzustehen. Julia nickte, vielleicht ein bisschen erleichtert, und übernahm die Führung. Sie führte die Kinder den Hügel hinunter, machte auf Vögel und Pflanzen aufmerksam, während sie ging, nannte sie alle beim Namen. Aber ich konnte sie nicht ansehen. Ich konnte nirgendwo hinsehen außer auf meine eigenen Füße, die sich schwerfällig durchs Gras bewegten.
Ich kann nicht sagen, Patrick, dass ich nicht schon vorher daran gedacht hatte. Aber bis zu dem Moment in Castle Hill hatte niemand das Wort mir gegenüber laut ausgesprochen und ich tat alles, um es zu verdrängen, an einen weit entfernten Ort in meinem Kopf zu verbannen, wo es niemals richtig geprüft werden könnte. Wie konnte ich nur den Gedanken zulassen? Damals war so etwasnicht zulässig. Ich hatte nicht die geringste Vorstellung von einem freien Leben, wie ich es jetzt nennen würde. Ich kannte nur die Überschriften in den Zeitungen – der Montagu-Fall war der bekannteste, aber es gab häufig kleinere Geschichten im »Argus«, gewöhnlich auf Seite zehn, zwischen den Scheidungen und den Verkehrsvergehen. »Schulleiter wegen grober Unzucht angeklagt« oder »Geschäftsmann beging widernatürliche Handlungen«. Ich beachtete sie kaum. Sie erschienen so regelmäßig, dass es fast normal schien; man erwartete sie fast in jeder Zeitung zusammen mit dem Wetterbericht und dem Radioprogramm.
Wenn ich jetzt zurückblicke und dies schreibe, ist es für mich offensichtlich, dass ich es auf einer bestimmten Ebene die ganze Zeit gewusst hatte – vielleicht von da an, als Sylvie mir sagte, dass Tom
anders
wäre, und sicherlich von dem Moment an, als ich euch beide in Osborne House draußen zusammenstehen sah. Aber damals schien es überhaupt nicht klar zu sein – oder zumindest
zulässig
– und es ist mir unmöglich, genau den Moment zu bestimmen, in dem ich zuließ, dass mir alles klar wurde. Aber der Vorfall in Castle Hill war sicherlich ein Wendepunkt. Von da an betrachtete ich dich, und damit auch Tom, unvermeidlich auf ganz neue Art. Das Wort war ausgesprochen und es gab kein Zurück.
Als ich nach Hause kam – wir waren in ein kleines Reihenhäuschen in der Islingword Street gezogen, kein Haus von der Polizei, wie wir gehofft hatten, sondern eines, das wir durch Vermittlung eines Kollegen von Tom bei der Polizei bekommen hatten –, war ich entschlossen, etwas zu meinem Mann zu sagen. Ich würde ihm dadurch nur Gelegenheit geben, es zu bestreiten, sagte ich mir. Die Sache würde schnell geklärt und wir würden unser Leben weiterleben wie bisher.
Ich wusste nur, mit welchen Worten ich beginnen wollte, nichts weiter: »Julia hat heute etwas Schreckliches über Patrick gesagt.« Darüber hinaus hatte ich keine Ahnung, was ich sagen würdeoder wie weit mich vorwagen würde. Ich wusste nichts als diesen ersten Satz und wiederholte ihn immer wieder leise, während ich nach Hause ging, um mich davon zu überzeugen, dass ich diese Worte tatsächlich
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