Der Lilienring
anbieten wollte. Dafür gab es einen anderen Verwendungszweck.
»Woher habt ihr den Bernsteinring?«, fragte ich.
»Unsere Zutat. So wie du den Raben eingestreut hast«, antwortete Rose.
»Schön, auf diese Weise kriegen wir sogar eine glaubhafte Erklärung dafür, wie er in Valerius’ Laden geraten ist.«
»In diesen Jahren muss vieles durcheinander gegangen sein. Ich habe ein bisschen über diese Zeit in Köln
nachgelesen. Einerseits haben die Franzosen eine durchaus gut funktionierende Verwaltung aufgebaut, den Code Civil, das bürgerliche Gesetzbuch, eingeführt und den Handel gestärkt. Andererseits haben sie die Kirche platt gemacht, die Universität geschlossen und den Karneval verboten!«
»Damit haben sie sich vermutlich nachhaltig Freunde geschaffen.«
»Das kann man wohl behaupten! Zumindest war Napoleon dann klug genug, ihn ab 1803 wieder zu gestatten. Aber Sinn für den rheinischen Humor haben sie nicht bewiesen.«
»Das haben Besatzer noch nie. Die haben immer Angst, wenn sich jemand einen Scherz auf ihre Kosten erlaubt, steckt gleich ein Aufruhr dahinter.«
»Genau, und schon sind wir wieder bei Marie-Anna. Wir müssen Cilly zu Wort kommen lassen. Sie hat prima Übersetzungsarbeit geleistet und diese Karikatur gedeutet.«
Es gab ein wenig schmeichelhaftes Bild von Napoleon als Erbsen zählender Zöllner und einige Spottverse über die Güte französischer Kolonialwaren darunter.
»Na, Cilly, dann berichte.«
7. Kapitel
Ein Ball im Gürzenich und seine Folgen
Der Februar 1810 war frostig, der Rhein führte noch einige Eisschollen mit sich, und schwarzer Ruß aus den Kaminen färbte alles grau und eintönig. Immerhin gab es genügend Feuerholz und auch ausreichend Vorräte. Die vergangenen Jahre waren für Köln nicht schlecht gewesen, und der Handel blühte, selbst wenn es gewisse Einschränkungen durch die Kontinentalsperre gab, die der Kaiser gegen England verhängt hatte. Es betraf vor allem die Kolonialwaren aus dem britischen Weltreich, die nicht mehr bezogen werden durften. Tabak, Kaffee, Schokolade, Zucker und Rum waren derartige Güter, die nun zu den Konditionen der Franzosen aus deren Kolonien eingeführt werden mussten und entsprechend teuer waren.
Marie-Anna hatte sich in einen dicken Wollumhang gewickelt, auch wenn die Mode derartige grobe Kleidungsstücke missbilligte. Doch die dünnen Hemdkleider aus zartem Musselin, die, unter dem Busen gerafft, tief ausgeschnitten und nur mit kurzen Ärmelchen versehen, den Körper zu umfließen hatten, betonten zwar hübsch gebaute Figuren, hatten aber keinerlei wärmenden Effekt. Und der Weg zum Gürzenich war ungemütlich.
»Bist du so weit, Marie-Anna?«
»Ja, Jules. Wir können gehen.«
Marie-Anna nahm ihre blaue Federmaske und hängte
sich bei dem schlanken Mann ein, mit dem sie seit zwei Jahren ein Verhältnis hatte.
»Jules!«
»Was ist, Chérie?«
»Bitte trink heute Abend nicht so viel. Du weißt, es werden unsere würdigen Stadtherren da sein, und wenn dich der Übermut packt...«
»... muss ich mich wieder bei dem Sous-Préfet verantworten und Strafe zahlen. Was macht mir das schon? Meine Güte, diese Froschesser haben keinen Funken Humor im Leib.«
»Trotzdem – ist es das wert, anschließend wieder wochenlang von Brotsuppe und Kartoffelbrei zu leben?«
Jules lachte fröhlich auf.
»Mädchen, es kommt doch eh die Fastenzeit.«
Marie-Anna sagte nichts weiter, sie wusste, es war sinnlos. Jules Coloman war ein hochbegabter Schauspieler, er hatte gute Rollen im Comödien-Theater in der Schmierstraße bekommen. Doch lieber widmete er sich seinen eigenen Werken, und das waren vornehmlich Spottverse, die sich auf die Franzosen bezogen. In Kreisen Gleichgesinnter war das ein überaus amüsanter Zeitvertreib, aber leider überkam Jules, wenn er einige Gläser getrunken hatte, regelmäßig der Wunsch, auch die Zielgruppe seines beißenden Spottes damit zu beglücken. Es hatte ihm schon viel Ärger eingebracht.
Der Maskenball im Gürzenich, dem größten Kölner Festhaus, war ein ungeheuerliches Spektakel, dem auch der Held Karneval beiwohnte. Tanz und Späße, Musikkapellen und Narrentreiben belustigten die über tausend Feiernden in den hell erleuchteten, hohen Hallen des Hauses. Selbstverständlich hatten sich auch die französischen Verwaltungsräte und Militärs eingefunden, um diesem gesellschaftlichen Ereignis Glanz zu geben. Wein, Punsch und Kölsch flossen in Strömen.
Auch Jules bediente sich häufig an den
Weitere Kostenlose Bücher