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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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verlieren. Bitte lass uns ein Treffen vereinbaren. Meine neue Adresse kennst Du. Es ist nicht weit. Nur für eine Stunde, eine Tasse Kaffee, ein stilles Gespräch unter vier Augen. Ich möchte Dich sehen, alleine, ohne Trubel um Dich herum, Deine Hand halten und hören, was Dich so tief bedrückt. Bitte komm bald. «
    Wer war diese Frau? War sie es, die Julian am Abend vor seinem Tod noch aufgesucht hatte? Hatte Julian Todesahnungen gehabt?
    Über all dem Aussortieren und Lesen war es spät geworden, und ich räumte, unbefriedigt wegen der vielen offenen Fragen, die Papiere zusammen. Dabei fielen mir der Gedichtband und die Kassette erneut in die Hände. Darüber würde ich morgen grübeln, jetzt brauchte ich aufmunternde Gesellschaft. Ich rief Rose an und erhielt die fröhliche Auskunft, dass sie und Cilly ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Ich solle sofort vorbeikommen und mir ihre Geschichte anhören.
     
    »Du hast sie gefunden und nicht mitgebracht?«
    »Eins nach dem anderen, Cilly. Oder willst du gleich fünf Tagebücher auf einmal übersetzen? Lasst doch erst einmal hören, was ihr zusammengebastelt habt. Dann habe ich noch eine Überraschung für euch.«
    »Na gut. Rose hat Geschichtsbücher und Lexika gewälzt und den ersten Zeitungsausschnitt ausgewertet. Der ist zwar auf Deutsch, aber diese Schrift ist grausig zu lesen!«
    »Und außerdem hat sie ihre Phantasie bemüht!«, erklärte Rose und zog die Beine zum Schneidersitz unter sich. Wir saßen in ihrem hellen Wohnzimmer in Arbeitsposition. Diesmal war ich die Schriftführerin und hob die Hände wie ein Klavierspieler, bereit zum Fortissimo, über die Tastatur.
    »Heb an, Schwester!«

Unterlagen 2

6. Kapitel
    Cologne um 1810
    Wieder stand so ein verhungertes Mönchlein vor dem Mann und bot ein mit Edelsteinen besetztes, schweres, goldenes Kreuz zum Verkauf an. Der Hehler fragte nicht viel. Der Schmuck war mehr wert, als der Klosterbruder verlangte, entweder wusste er das nicht, oder die Not war so groß, dass er sich auf einen Handel nicht einlassen konnte. Seine zynische Erfahrung sagte dem Hehler, wahrscheinlich traf der erste Fall zu. Diese Ordensleute, die seit ein paar Jahren aus ihren Klöstern vertrieben worden waren, zeichneten sich durch eine gewisse Weltfremdheit aus. Nicht alle, manche kamen ganz gut in der Welt zurecht, vor allem solche, die auch im Orden ein Handwerk ausgeübt hatten oder als Lehrer tätig waren. Er zählte ein paar Francs hin und nahm das Kreuz an sich. Es war ein guter Tag für sein Geschäft gewesen. Morgens schon waren die Stiftsdamen gekommen, verschüchtert und mit traurigen Augen. Sie hatten noch wertvollere Pretiosen anzubieten als die Mönche der Bettelorden. Die vorletzte Kundin aber, die tief verschleiert zu ihm kam, hatte ihm einen Ring gebracht, den er zwar ebenfalls bezahlt hatte, aber mit großem Misstrauen betrachtete. Ein Bernsteinring aus schwerem Gold war es gewesen; in dem klaren Bernstein selbst befand sich ein eigenwilliger Einschluss. Zwei kleine Ästchen bildeten ein beinahe vollkommenes Kreuz. Als die Kundin gegangen war, prüfte er sorgfältig den Ring und fand sein Misstrauen bestätigt. Denn im Reif selbst stand die Inschrift »Letum Non Finit Omnia«.

    Diesen Ring hatte er vor noch gar nicht so langer Zeit schon einmal in den Händen gehalten.
    Der Hehler schloss seine Tür sorgfältig ab und machte sich daran, den nächsten Teil seiner geschäftlichen Aktivitäten in Angriff zu nehmen: den Weiterverkauf der Ware. Er hatte eine ansehnliche Liste wohlhabender Männer, die sich für die Artikel interessierten, die bei ihm landeten, und nicht so besonders genau nach der wahren Herkunft fragten. Das war gelegentlich ganz gut so. Auch wenn die Franzosen die Stadt 1794 ohne Gegenwehr übernommen hatten, war einige Unruhe entstanden, die manch einer zu nutzen wusste. Dann, sechs Jahre später, war die Säkularisierung beschlossen worden, und das Vermögen der Klöster, Abteien, Stifte und des Domkapitels fiel an den Staat. Den französischen natürlich. Was da an Kunstgegenständen plötzlich den Markt überschwemmte, war beachtlich. Wer diese Ströme kanalisierte, wurde in kürzester Zeit ein reicher Mann.
    Der Hehler packte ein paar besonders schöne Kleinodien zusammen, nach denen, wie er wusste, einer seiner Kunden ein großes Begehren hegte. Nachdenklich wog er auch den Bernsteinring in den Händen, aber ein Instinkt warnte ihn, den zu den Stücken zu tun, die er dem renommierten Sammler

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