Der Lilienring
den Hecken spöttisch hervorgrinste.
»Satyre pflegen Frauen zu becircen und nicht umgekehrt. Schon gut, finden Sie einen Weg.«
»Sehr wohl, Monsieur le Sous-Préfet.«
»Wie steht es mit englischer Schmuggelware? Mir scheint, man verwendet viel und reichlich teure Luxusgüter in diesem Haus. Gibt es auch ansonsten indischen Tee, Virginiatabak, Bohnenkaffee, weißen Zucker...«
»Ich kann über die Herkunft wenig sagen, Monsieur Faucon, ich rauche keinen Tabak, ich trinke gewöhnlich Pfefferminztee mit Honig, und was in der Küche zubereitet wird, kann ich nicht im Einzelnen beurteilen. Schokoladen hingegen werden vornehmlich von der Dame des Hauses genascht. Aber wenn Sie es wünschen, werde ich versuchen, mit der Köchin Freundschaft zu schließen. Soll ich auch beginnen, Pfeife zu rauchen?«
Faucon erlaubte sich ein kühles Amüsement. »Machen Sie unauffällig Ihre Beobachtungen. Wann haben Sie Ihren freien Tag?«
»Ich kann über den Donnerstagnachmittag verfügen.«
»Suchen Sie mich an dem übernächsten Donnerstag auf, und berichten Sie mir mehr. Wir wollen keine unliebsame Aufmerksamkeit erregen und uns wieder der Gesellschaft anschließen.«
»Befürchten Sie, sich mit mir zu kompromittieren?«
»Ich befürchte allenfalls, Sie zu kompromittieren. Plaudern wir über das Wetter.«
»Es ist wunderbar warm geworden in den letzten Tagen. Erfreulich, dass es zum Osterfest so schön ist.«
»In der Tat, Mademoiselle. Es gibt den Damen doch Gelegenheit, ihre Frühlingsgarderobe auszuführen.«
»Und das schlichte Grau der Gouvernante einmal abzulegen«, bemerkte Valerian Raabe, der hinzugetreten war. »Ein ungewohnter Anblick, Mademoiselle.«
»Ich hoffe, es verstößt nicht gegen Ihre Vorstellung von schicklicher Kleidung, Herr Kommerzialrat.«
»Wäre es so, würden Sie es ändern?«
»Selbstredend, Herr Kommerzialrat.«
»Faucon, Sie erleben Mademoiselle de Kerjean gerade in ungewöhnlich nachgiebiger Stimmung. Das muss an den wärmenden Sonnenstrahlen – oder vielleicht an Ihrer Gesellschaft? – liegen.«
»Gibt sie zu Klagen Anlass, Monsieur Raabe?«
»Weniger als befürchtet. Nur gelegentliche Widerworte, nachhaltige Eingriffe in die häusliche Routine und eine eigene Interpretation der gängigen Erziehungsmethoden.«
»Das scheinen mir keine Kleinigkeiten zu sein.«
»Immerhin hat sie mich davon überzeugt, dass Kinder, denen man die Haselrute über die Handflächen zieht, nicht eben beste Voraussetzungen zum Schönschreiben haben.«
»Wie hat sie Sie überzeugt?«
»Mit einer recht drastischen Demonstration.«
»Vermutlich hätten Sie im Gegenzug eine ähnlich drastische wählen sollen?«
»Es verstößt gegen meine Prinzipien, Damen zu schlagen. Im Grunde auch Kinder. Doch der Hauslehrer sah das anders.«
»Er sah?«
»Inzwischen hat er sich meiner schmerzhaft erworbenen Meinung angeschlossen.«
»Ich finde Herren, die in Gegenwart einer Dame über die Dame plaudern, als sei die Dame nicht anwesend, überaus bezaubernd!«
Faucon und Valerian Raabe drehten sich zu ihr um.
»Touché!«
Der Sous-Préfet verbeugte sich steif vor ihr, ergriff ihre Hand und hob sie bis nahe an seine Lippen. Dann betrachtete er nachdenklich den Ring an ihrer Hand.
»Ein interessantes Muster, Mademoiselle.«
»Ein hübsches Glitzerding, Monsieur, wertlos, außer als Erinnerungsstück an den Geber.«
»Ein Freund von Ihnen?«
»Ja, doch ich hörte, er hat die Stadt verlassen.«
Faucon nickte verstehend.
»Ja, dieses Muster macht eine sehr hübsche Goldschmiedearbeit leider ein wenig wertlos.«
Valerian Raabe besah sich den Ring ebenfalls und murmelte: »Wer weiß? Die Bourbonenlilie ist nie ganz verblüht. Halten Sie ihn in Ehren, Mademoiselle.«
Berlinde und eine Bekannte kamen hinzugeschlendert, und Marie-Anna suchte das Gespräch mit der Gouvernante einer befreundeten Familie. Mit Berlinde von Spangenberg, Madames Schwägerin, war sie bisher einfach noch nicht warm geworden. Zwischen ihnen schwelte eine unausgesprochene Abneigung. Ursula Raabe hingegen hatte ihr inzwischen weitgehend ihre neu erwachte Freundschaft mit Rosemarie verziehen, und belustigt hatte sie mitbekommen, wie sich die Dame des Hauses gegenüber ihren Freundinnen mit der »hochadligen französischen Gouvernante« brüstete.
Als Marie-Anna am Abend über ihrem Tagebuch saß, ruhte die Feder lange müßig in ihrer Hand. Das Zusammentreffen mit Faucon hatte sie daran gemahnt, dass ihre Aufgabe mehr war, als nur
Weitere Kostenlose Bücher