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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nützlicher Teil des Haushalts
zu sein. Ein wenig, das gab sie sich selbst gegenüber zu, widerstrebte es ihr, seine Mitglieder zu bespitzeln. Mit den Kindern, vor allem aber mit Graciella zu arbeiten machte ihr Spaß. Rosemarie, die langsam auftaute und Vertrauen zu ihr gefasst hatte, zeigte sich hilfsbereit und freundlich und unter der gebildeten Fassade durchaus mit feinsinnigem Humor begabt. Die Dame des Hauses begegnete ihr zwar abwechselnd überschwänglich leutselig oder völlig gleichgültig, aber nie unerträglich. Berlinde betrachtete sie als unwichtig; sie verbrachte sowieso den größten Teil der Zeit mit Madame zusammen, und der Professor war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass man ihm große Beachtung schenken musste. Der Herr des Hauses hingegen gab ihr noch manches Rätsel auf. Er ging jeden Werktag morgens aus dem Haus, um sich seinen Geschäften zu widmen, nahm aber das Abendessen mit der Familie ein und verbrachte gelegentlich den Abend im Haus. Sie hatte inzwischen festgestellt, dass er die finanziellen Abwicklungen seines Haushaltes scharf kontrollierte. Sie selbst bekam wöchentlich ihr Gehalt, Rosemarie inzwischen am selben Tag den gleichen Betrag als Taschengeld, Mathilda fand sich ebenfalls samstags ein, um mit ihm die Haushaltsabrechnungen durchzugehen, und sogar Madame legte ihm ihre Rechnungen vor. Sie erhielt ansonsten nur ein kleines Nadelgeld zur freien Verfügung. Seine Anordnungen waren klar und eindeutig und wurden auf den Punkt befolgt. Bislang hatte anscheinend noch niemand Einspruch gegen irgendetwas erhoben, was er bestimmt hatte. Ihr, Marie-Annas, Einschreiten war offenkundig einmalig. Doch hatte er im Fall der Teestunde nachgegeben und sich bei der recht dramatischen Auseinandersetzung um die Prügelstrafe ebenfalls auf ihre Seite gestellt. Maria-Anna lächelte leicht bei der Erinnerung an diese Szene.

    Sie hatte an einem Morgen das Schulzimmer betreten und um schriftliches Arbeiten gebeten. Dabei war ihr das seltsame Verhalten von Yannick aufgefallen, und als sie nachforschte, war zu Tage getreten, dass Professor Klein den Jungen während seines Unterrichts – wegen wiederholten Störens natürlich – mit der Gerte gezüchtigt hatte. Marie-Anna war durchaus der Meinung, besonders renitente Kinder verdienten schon mal eine Ohrfeige, aber die Hände blutig zu schlagen störte ihren Sinn für Gerechtigkeit. Sie stellte das Züchtigungsinstrument sicher und bat am Abend um eine Unterredung mit dem Herrn des Hauses. Valerian Raabe wies sie kurz ab und stellte die Bestrafung als Nichtigkeit hin, die vermutlich gerechtfertigt war.
    »Ich bin als Junge von meinen Lehrern und meinem Vater ebenso durchgeprügelt worden und habe dennoch überlebt. Und auch Sie werden so etwas erlebt haben, widersätzig, wie Sie sind.«
    »Natürlich, Herr Kommerzialrat. Aber man hat mir – pardon – den Hintern versohlt. Nicht die Handflächen blutig geschlagen. Und Ihnen, Herr Kommerzialrat?«
    Es schien, als ringe er kurz um seinen gewohnten Ernst, doch dann fasste er sich und meinte: »Was für einen Unsinn berichten Sie da. Sie übertreiben mit Ihrer Empfindsamkeit. Niemand wird hier blutig geschlagen!«
    »Glauben Sie mir nicht? Sie sollten sich Yannicks Hände mal ansehen.«
    »Womit sollte er geschlagen worden sein?«
    »Damit. Und wenn Sie mir nicht glauben, es sei möglich, dann strecken Sie mal Ihre Hand aus!«
    Er hatte trocken gelacht und seine Rechte über den Tisch gereicht. Marie-Anna hatte ihm die Gerte darübergezogen. Nicht sehr fest.
    Und das wusste er.
    »Teufel!«, war sein Kommentar, als er die brennende
Handfläche betrachtete. »Da werde ich wohl etwas tun müssen. Aber haben Sie auch eine Idee, wie man den kleinen Tunichtgut bändigen soll?«
    »Die hätte ich, aber ich werde mich hüten, Ihnen das vorzuschlagen.«
    »Weil Sie sich wieder eines Eingriffs in die Organisation meines Haushaltes schuldig machen würden, nehme ich an.«
    »Wie Sie sagen, Herr Kommerzialrat.«
    Es hatte aber ebenso andere Fälle gegeben, in denen sie sich, murrend zwar, anpassen musste. Insbesondere wenn es um Graciellas Unterricht und Erziehung ging. Die Lektüre bestimmte er, gemeinsame Ausflüge in die Stadt mussten von ihm gutgeheißen werden, den Gebrauch von Kosmetika, in den Marie-Anna Graciella auf deren Bitten eingeführt hatte, wurde strengstens gerügt und untersagt, ein gemeinsam genähtes, modisches Kleidchen in den Schrank verbannt, der Besuch einer Theatermatinee

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