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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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uns.«
    »Unsinn. Warum sollten wir ihm den verschwundenen Ring beichten, wenn wir ihn selbst genommen haben? Es wäre viel einfacher, ein Stück zu nehmen und
darauf zu vertrauen, dass er sich um die Einzelheiten ja doch nicht kümmert. Deinem Vater würde es am ehesten auffallen, und er würde gewiss Meldung machen.«
    »Das stimmt natürlich. Na gut, bringen wir es hinter uns.«
    Es war der Sonntagmorgen nach dem Ball, Rosemarie und Marie-Anna hatten sich gleich in der Frühe auf die Suche nach dem verschwundenen Siegelring gemacht, alle Kistchen und Beutelchen durchgesehen, die Kästen ausgeleert, das Fragment eines alten Stundenbuchs mehrmals durchgeblättert und die Verpackungen um und um gewendet. Der Ring mit der Gemme, der in der Liste aufgeführt war, blieb verschwunden.
    Valerian Raabe war ebenfalls früh aufgestanden, obwohl sie alle erst weit nach Mitternacht nach Hause gekommen waren. Madame und ihre Gesellschafterin hingegen ruhten noch. Er saß in der Bibliothek und las in einer Zeitung.
    »Guten Morgen, Monsieur Raabe.«
    »Guten Morgen, Onkel Valerian.«
    »Na, schon ausgeschlafen, junge Damen? Ihr seid früh auf!«
    »Nun ja, wir haben Grund gehabt, Monsieur. Es gibt da etwas zu berichten.«
    »Was denn? Ihr seht beide ein wenig bedrückt aus. Rosemarie, was ist passiert. Ist dir jemand zu nahe getreten?«
    »Nein, nein, Onkel Valerian. Es hat mit der Sammlung zu tun.«
    »Aha. Ihr habt also schon am frühen Morgen eure Arbeit aufgenommen. Setzt euch doch. Und berichtet.«
    »Monsieur, die Sachen, die Sie aus dem Stiftsschatz von Maria im Kapitol erworben haben, sind eben die, die wir katalogisieren. Wir haben eine Diskrepanz zwischen der Auflistung und den einzelnen Stücken festgestellt.
Es fehlt ein goldener Ring, ein Ring mit einem roten Stein, in den ein Pferdchen geschnitten ist.«
    »Die Kästen hat Freund Schlegel im Äbtissinnenhaus gefunden und mir letzte Woche angeboten. Zu einem sehr günstigen Preis. Ich habe den Inhalt flüchtig durchgesehen, aber ich kann mich an keinen roten Siegelring erinnern. Doch wenn ihr behauptet, er stünde auf der Liste meiner Erwerbungen, müsste ich ihn wohl bekommen haben. Sollte er wertvoll sein?«
    »Möglicherweise recht wertvoll, wenn er antik ist. Aber wir haben ja nur seine Beschreibung. Danach kann man das nicht beurteilen.«
    »Ich denke, diese alte Handschrift ist deutlich mehr wert als das armselige Ringlein eines Stiftsfräuleins. Die wirklich kostbaren Dinge, die das Stift besaß, sind schon lange unter den Hammer gekommen. Macht euch nicht so viele Gedanken darum.«
    »Wenn Sie meinen, Onkel Valerian.«
    »Ich meine, und nun nehmt euch heute einen freien Tag. Am heiligen Sonntag solltet ihr nicht arbeiten. Geht heute Nachmittag mit Graciella zum Rhein hinunter und verschwendet euer Taschengeld auf ein paar Leckereien.«
    »Danke, Monsieur Raabe.«
    Graciella freute sich auf den Spaziergang, und auch die beiden jungen Frauen genossen das warme Herbstwetter.
    »Er ist freundlicher geworden, seit du bei uns bist, Marie-Anna.«
    »Dein Papa? Ja, er hat sogar gestern sehr nett mit mir geplaudert.«
    »Und nun redest du ihn auch nicht mehr mit seinem Kommerzialrat an.«
    »Er selbst hat es so gewollt.«
    »Erzählt, wie war es gestern auf dem Ball?«

    Fröhlich schwatzend verbrachten die drei den Nachmittag.
    Der Abend aber versetzte dann Marie-Annas heiterer Stimmung einen herben Schlag.
    Als sie von ihrem Ausflug zurückkamen und auf ihre Zimmer gingen, hörten sie in den Zimmern des Hausherren Madames Stimme. Ihr Tonfall war scharf und laut. Was sie jedoch vorbrachte, konnte man nicht verstehen. Marie-Anna schüttelte energisch den Drang zum Lauschen ab und schloss die Tür ihres Zimmers hinter sich, um sich umzuziehen. Als sie fertig war und Rosemarie aufsuchen wollte, begegnete sie der Dame des Hauses auf dem Gang. Ihr Gesicht war stark gerötet, ihre Lippen zu einem bitteren Strich zusammengepresst. Sie musterte Marie-Anna mit kalter Verachtung und schlug dann energisch die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich zu. Sehr verwundert war Marie-Anna nicht darüber. Schon häufiger in der letzten Zeit hatte auch sie, nicht nur Rosemarie, unter den Launen von Madame leiden müssen. Der Glanz der »hochadligen Gouvernante« war verblasst, nachdem sie sich geweigert hatte, sich von ihr über ihre Familienverhältnisse ausfragen zu lassen.
    Marie-Anna zuckte mit den Schultern und klopfte an Rosemaries Tür.
    »Da hat es aber gewaltigen Krach gegeben,

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