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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Ich komme mir vor wie die Verwalterin seines Wissens.« Sie öffnete die Umhängetasche und holte einen Ordner heraus. »Hier sind seine Briefe. Kopien, Anahita, von den Originalen trenne ich mich nicht. Aber du sollst sie lesen. Manches, was ihn bewegt hat, wird dir dann klarer werden.«
    »Danke, das ist sehr großzügig von dir.« Ich war aufrichtig gerührt. Dennoch musste ich die wichtigste Frage stellen. »Was ist mit dem letzten Abend gewesen, Denise? An dem siebten Juli vergangenen Jahres?«
    »Er war bei mir. Es ist nicht so, dass wir uns all die Jahre nicht gesehen hätten. Wir sind uns begegnet, bei offiziellen Anlässen, auf Partys, bei der Arbeit. Alleine habe ich ihn nie mehr gesehen, seit wir uns vor über fünfundzwanzig Jahren getroffen und ineinander verliebt haben. Er kam auf meinen Wunsch abends um halb sechs zu mir und ist kurz vor acht aufgebrochen, um nach Koblenz zu fahren. Soll ich diese Aussage der Polizei gegenüber machen? Wird dir damit geholfen?«
    »Mir und Rose. Ja, wahrscheinlich. Aber du läufst Gefahr, in die Schmuddelpresse zu geraten.«

    »Manchmal, Anahita, kommt man an einen Punkt, wo man entscheiden muss. Es wird zwar unangenehm, aber wenn es denn der Gerechtigkeit dient...«
    »Ja, es dient. Aus einem ganz bestimmten Grund.«
    »Bevor du mir den nennst, möchte ich dich um etwas bitten. Ich würde gerne zu seinem Grab gehen, Anahita. Ich weiß noch nicht einmal, wo er seine letzte Ruhe gefunden hat.«
    »Ich war auch noch nicht dort. Aus vielen Gründen. Aber du hast Recht, einmal muss auch das sein. Er wollte auf dem alten Friedhof an der Godesburg in dem Familiengrab beigesetzt werden, und so ist es geschehen. Fahren wir.«
    Zuerst verlief die Fahrt schweigend, aber dann fragte ich sie doch: »Er hat seinen Tod geahnt, Denise. Er hat dir davon geschrieben.«
    »Ja, er hat etwas geahnt. Das ist der Fluch derer, die erkennen, wie sich die Dinge von einem Punkt aus entwickeln. Aber, Anahita, er war nicht besonders beunruhigt darüber. Es war ganz seltsam. Selbst an diesem Abend noch sprach er davon, dass sein Weg sich seinem Ziel näherte. Ich habe das leider nicht so wörtlich genommen, wie er es gesagt hat. Mein Gott, Anahita, was war ich entsetzt, als ich von dem Unfall hörte. Allerdings glaubte ich, es handele sich wirklich um einen Unfall. Den verlogenen Presseberichten habe ich nie ein Wort geglaubt.«
    »Ich wollte es genauso wenig glauben, Denise. Bis die Kommissarin dann mit den neuen Fakten aufwartete. Aber dazu später. Hier ist der Friedhof.«
    Wir gingen gemeinsam zu der Stelle unter den alten Zypressen, die er schon bei Lebzeiten für sich gewählt hatte. Ein steinerner Engel mit ausgebreiteten Flügeln wachte über dem Grab der Familie Kaiser. Denise stellte eine Schale auf die Marmorplatte, feiner, zitternder Farn
und Maiglöckchen. Als sie sich wieder aufrichtete, liefen ihr die Tränen über die Wangen.
    »Vielleicht, dass ich gedenke, vielleicht, dass ich vergess«, flüsterte sie. »Ich werde nie vergessen, Julian.«
    »Ich auch nicht.«
    Wir standen Hand in Hand still an seinem Grab, dann aber schnäuzte sie sich und fragte: »Also, was gibt es noch, Anahita? Was hat man herausgefunden? Es liegt dir etwas auf der Seele, nicht wahr?«
    »Lass uns von hier fortgehen. In die Rheinaue. Der Park ist im Frühling so schön.«
    Es war zwar etwas trüb gewesen an diesem Tag, aber gelegentlich brach die Sonne hervor. Sie wärmte uns, als wir unseren Spaziergang begannen, und das helle, grüne Laub, die bunten Rabatten, die blühenden Sträucher und Büsche wischten die Traurigkeit fort. Durch das Tor traten wir in den japanischen Garten. Ich liebte ihn, diesen kleinen, umschlossenen Hort mit seinen Steinlampen, den bizarr gewachsenen Bäumen und dem stillen Teich mit seinen goldenen Fischen. Die Azaleen blühten wie eine pinkfarbene Wolke über den hellen, grauen Steinen, und der Blutahorn flammte in den Sonnenstrahlen auf. Als wir eine Weile auf der hölzernen Bogenbrücke gestanden hatten, die sich über den Wasserfall schwang, fragte Denise schließlich: »Was ist es?«
    »Uschi!«
    »Sie hatte einen Verdacht, ja?«
    »Sie hat immer steif und fest behauptet, Julian habe die letzte Nacht bei seiner Geliebten verbracht. Aber sie hat meines Erachtens keinerlei Anhaltspunkt dafür gehabt.«
    »Ahnung. Frauen ahnen so etwas. Unter all ihrer Oberflächlichkeit hat Uschi eine empfindliche Stelle. Sie ist besitzergreifend bis zur Krankhaftigkeit.«
    »Es wird dich in

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