Der Lilienring
schließlich zu den die Zeiten umspannenden Themen. Hätte nicht eine Assistentin vorsichtig an der Tür geklopft und nachgefragt, wie sie das Schreiben – sie winkte damit in der Hand – nun behandeln sollte, wären wir noch in die äußeren Sphären abgeglitten.
»Wenn sich bei uns niemand findet, dann bemühen Sie Herrn Corvin. Er macht solche Gutachten gelegentlich für uns. Aber schmeicheln Sie es ihm so billig wie möglich ab. Der Etat ist knapp.«
»Ist gut, ich versuch’s.«
»Sie wird’s schaffen, glaube ich. Sofern es sich um Valerius Corvin handelt!«, meinte ich und musste ein bisschen grinsen, als ich an Jans Charakterstudie dachte.
»Sie kennen Herrn Corvin? Natürlich, ein Antiquitätenhändler wie er bleibt einer Kunsthistorikerin wie Ihnen nicht unbekannt.«
»Ich habe ihn kurz kennen gelernt. Aber ich wusste nicht, dass er für Sie Gutachten erstellt.«
»Er ist bei der Klassifizierung von englischen Möbeln der beste Fachmann, den wir hier im Umkreis haben. Gelegentlich ist er sogar bereit, sein Wissen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wir laden ihn dafür regelmä ßig zu unseren Veranstaltungen ein.«
»Hat er hier studiert?«
»Nein, er hat in Darmstadt Innenarchitektur studiert. Aber er hat dazu eine Ausbildung als Restaurator und ist ein begnadeter Kunsttischler.«
»Ja, ich hörte, er legt gerne selbst Hand an.«
»Das hat die Firma R&C vor einigen Jahren mal gerettet, heißt es. Es ist ja ein altes Familienunternehmen, das er übernommen hat. Der Teilhaber ist verunglückt, und sein Vater hat das nicht verkraftet. Corvin hat damals sein Studium aufgegeben und erst einmal den Laden wieder in Schwung gebracht. Eine erstaunliche Leistung für einen jungen Mann. Seinen Abschluss hat er dann erst viel später nachgeholt. Ich glaube, da war er schon über dreißig.«
Eine leise Heiterkeit stieg in mir auf. Der Innenarchitekt, der Denise das Esszimmer eingerichtet hatte… Aha! Ich würde sie fragen. Ein höchst interessanter Aspekt, der da gerade auftauchte.
Ich verabschiedete mich in gehobener Laune von meinem Professor und kam heiter in meiner Wohnung an. Hier aber blinkte der Anrufbeantworter, und Rose unterrichtete mich, wir seien an diesem Nachmittag um vier bei Uschi verabredet. Das dämpfte meine Laune wieder, obgleich dieser Besuch möglicherweise endlich zu einem Ende der unseligen Situation führen würde.
Kommissarin Frederika war fast menschlich zu nennen, als sie mit Denise zu mir und Rose trat.
»Ich werde das Eingangsgespräch führen. Das, was dann daraus entsteht, werden Sie improvisieren müssen. Ein Kollege wartet im Wagen vor dem Haus, falls es zu Problemen kommt.«
»Gut, bringen wir es hinter uns.«
Tilly öffnete uns, beäugte Rose und Denise sehr misstrauisch und führte uns ins Wohnzimmer. Uschi sah mich hinter der Kommissarin eintreten und versteifte sich. Als Denise erschien, stellte sie mit einem Klirren das Glas ab, das sie in der Hand gehalten hatte, und als Rose ins Zimmer kam, sprang sie auf.
»Verschwinden Sie!«
»Frau Dr. Kaiser, Frau von Cleve und diese Dame hier bleiben. Es gibt Dinge zu klären, die Sie alle gemeinsam betreffen.«
Dann rollte die Kommissarin den Fall noch einmal auf. Sie berichtete über die einzelnen Stationen, die Julian am Abend vor seinem Tod aufgesucht hatte, diesmal unter Einbeziehung der Rolle, die Denise dabei gespielt hatte. Ihre Wortwahl war geschickt. Es entstand der Eindruck, Denise sei in der Tat die langjährige Geliebte meines Vaters gewesen.
Uschi wurde blass und gleich darauf rot. Sie sprang auf und schrie Denise an.
»Also doch! Also doch! Ich habe es gewusst. Er hat mich hintergangen. Ihr habt mich alle hintergangen! Ihr steckt alle mit drin!« Kommissarin Frederika versuchte, sie zu beruhigen, aber sie schüttelte sie ungehalten ab. »Sie also!«
Denise sprach ganz ruhig, mit Trauer in ihrer tiefen, klangvollen Stimme.
»Ja, ich, Frau Kaiser. Aber, wissen Sie, Julian und ich hatten uns lange nicht gesehen, und ich war sehr unglücklich, dass er so abgeschlagen und müde bei mir ankam. Ich konnte kaum ein vernünftiges Wort mit ihm
wechseln. Dabei hatte ich mich so darauf gefreut, den Abend mit ihm zu verbringen.«
»Und mit ihm ins Bett zu gehen, was? Das hab’ ich dir versaut, du Miststück.«
»Ja, Uschi, das hast du wirkungsvoll verhindert!«, bestätigte ich leise. »Glaub’ mir, ich bedauere es, denn Denise hat ihn mehr verdient als du.«
Uschi fuhr herum.
»Einen Dreck hat
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