Der Lilienring
mitmacht, bricht die Welt nicht zusammen. Danach ist Pfingsten, und die Schulwoche hat auch nur
drei Tage. Es wird schon nicht ihre Versetzung gefährden, wenn sie mal fehlt, oder?«
»Nein, das wird es nicht, Anita. Aber es verstößt gegen die Prinzipien...«
»Sophia, deine jüngste Tochter hat eine Menge mit uns durchgemacht. Sie hat ihre Osterferien für uns geopfert. Sie hat mein Gejammere ertragen, sie hat beim Aufbau der Ausstellung geholfen und auch, als wir sie abbrechen mussten. Sie hat Rose gerettet, als sie umgekippt ist, und die Nächte in Angst und Sorge mit uns verbracht. Ein bisschen heftig für ein Mädchen ihres Alters, nicht?«
»Du meinst, sie hat Ferien verdient?«
»Meine ich. Ganz abgesehen davon habe ich heute Morgen den ersten Reporter verscheuchen müssen. Wär doch unangenehm für sie, wenn so ein Schmierlappen sie auf dem Schulweg anmacht.«
»Da ist was dran. Na gut, ich schreib’ ihr eine Entschuldigung. Mal sehen, was mir einfällt. Aber ihr müsst euch verpflichten, sie nach zwei Wochen wieder zurückzubringen. Mehr ist nicht drin!«
»Versprochen!«
Ich legte auf und zwinkerte Cilly zu.
»Zwei Wochen!«
»In echt?«
Jetzt kamen die Tränen. Sie war, genau wie Rose und ich, ein bisschen fertig mit den Nerven.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, wurde sie sachlich und nüchtern.
»Ich habe über die Hälfte des Tagebuchs gelesen und übersetzt. Also, es ist der Hammer.«
»Dann los!«
Tagebuch 3
17. Kapitel
Der Brand im Wachhaus
Besonders aufmerksam waren die vier französischen Gendarmen nicht, die in dem Wachhaus an der Stadtmauer ihren Dienst taten. Die Dezembernacht war ruhig, die Kölner Bürger saßen in ihren Häusern an den Kaminen und scheuten die eisigen Straßen. Um die Langeweile zu vertreiben, spielten die Gendarmen Karten und tranken das helle, herbe Bier, an das sie sich allmählich gewöhnt hatten. Es war billiger als Wein, und ein gelegentlicher Schluck von dem klaren Schnaps, den einer von ihnen aus einer Steingutflasche ausschenkte, brachte auch die nötige innere Wärme zustande.
Doch die Beschaulichkeit wurde plötzlich durchbrochen. Ein lauter Hilferuf gellte durch die einsamen Gassen. Eine Frau schrie, verzweifelt, wie in Todesnot. Die Karten flogen über den Tisch, die Männer griffen nach ihren Gewehren, stürzten aus der Wachstube und polterten aus der Tür auf die Straße. Noch einmal gellte der Schrei, brach dann abrupt ab, als ob die Bedrängte zum Schweigen gebracht worden wäre. Alle sechs rannten die Gasse hinauf, in die Richtung, aus der der Hilferuf gekommen war. Eine Frau fanden sie nicht, aber die Schritte eines Flüchtenden entfernten sich in eiliger Hast. Ihm setzten sie nach, hätten ihn beinahe zu fassen bekommen, denn sein atemloses Schnaufen klang schon ganz nahe. Doch die Straßen und Sträßchen waren verwinkelt und unübersichtlich. Sie verloren ihn schließlich und hatten alle Mühe, wieder zurück zu ihrem Wachlokal zu finden.
Doch das wurde ihnen schließlich leicht gemacht, denn heftig begann die Feuerglocke zu läuten, und helle Flammen loderten aus dem trockenen Gebälk des alten Fachwerkhauses, das sie vor kaum einer Viertelstunde verlassen hatten.
Jemand hatte sich die Abwesenheit der Gendarmen gezielt zu Nutze gemacht, um den Brand zu legen.
Der Sous-Préfet war auf das Äußerste ungehalten und setzte die Polizeikräfte ein, nach der Frau zu fahnden, die für das Ablenkungsmanöver gesorgt hatte. Über eine Woche brauchten seine Leute dafür, und das Jahr 1811 war schon angebrochen, als die widerborstige Dirne endlich in Gewahrsam genommen werden konnte. Bei ihr fand sich eine goldene Kette, an der eine Kamee mit einem Frauenbildnis hing. Woher sie dieses Schmuckstück hatte, weigerte sie sich zunächst anzugeben. Schließlich aber bezichtigte sie einen Freier, ihr es als Lohn für einen Liebesdienst überlassen zu haben. Doch behauptete sie, den Namen des Mannes nicht zu kennen. Und seine Beschreibung passte auf viele, auch auf einige der einflussreicheren Bürger Kölns.
18. Kapitel
Feiertage im Haus des Kommerzialrates
Im Hause Raabe wurde das Weihnachtsfest freudig begrüßt. In den Räumen waren Vasen mit Tannenzweigen aufgestellt, die mit roten Bändern und Schleifen geschmückt waren, und der Duft von süßem Gebäck zog von der Küche durch die Gänge. Zu Gast kamen Valerian Raabes Eltern und wurden von ihren beiden Enkeltöchtern Rosemarie und Graciella mit großer Herzlichkeit empfangen.
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