Der Lilienring
weiter.«
Denise sah mich einen Moment fassungslos an, dann gluckste sie leise.
»Und so weiter. Ach ja. Nun, da hast du aber einen prächtigen Fisch an der Angel.«
»Ich weiß noch nicht, ob der Haken sitzt! Ich hörte, dieser Fisch hat die Angewohnheit, sich ziemlich glatt aus allem herauszuwinden.«
»Ja, man wird ein starkes Netz brauchen, um ihn festzuhalten. Hast du eines?«
»Julian hat dran gewebt. Sag mal, kannte er Valerius Corvin?«
»Er ist ihm einmal begegnet. Vor vielen Jahren, in Frankfurt. Wir waren mit einem amerikanischen Sänger und seiner Frau unterwegs, und die wollten etwas ›altes Europa‹ erstehen. Wie Amerikaner so sind. Damit sie also nicht auf Kuckucksuhren made in Korea und Bierkrüge aus Taiwan hereinfielen, schoben wir sie zu R&C hinein. Julian hat sich mit Valerius unterhalten und schließlich einen alten Schmuck von ihm erstanden. Er hat ihn mir geschenkt. Aber ich habe ihn nie getragen. Er ist viel zu aufwändig. Ein Collier mit sieben gewaltigen, schwarzen Gemmen, üppig in Gold gefasst.«
Rose und ich riefen gleichzeitig: »Das Planetencollier!«
»Bitte? Ja, so nannte er es. Woher kennt ihr es?«
»Das – oder ein ähnliches – wird in den Tagebüchern zitiert. Ein Valerian Raabe hat es um 1810 für seine Frau erworben.«
»Himmel, Anahita! Dann gehört es in deine Familie.«
»Wenn es das ist.«
»Ich werde die Papiere suchen, die dazugehören. Ich
habe sie nie angesehen, sie liegen mit dem Collier seit Jahren unberührt im Tresor.«
»Aber was Julian mit Valerius gesprochen hat, weißt du nicht?«
»Nein, ich war damals schon nicht mehr mit ihm zusammen. Es war nur eine kurze, aber ziemlich heftige Affäre. Er hat sie sehr schmerzlos beendet. Zumindest scheint es mir heute so. Damals war mir auch von Anfang an klar, dass es sich nur um eine zeitlich begrenzte Liebelei handelte. Er hat so eine Art, einen nicht wirklich an sich herankommen zu lassen, selbst wenn es noch so leidenschaftlich zugeht. Halte dein Herz fest, Anahita.«
»Ich weiß nicht. Ich fand ihn alles andere als distanziert.«
»Nun ja...«
»In Julians Geschichten tauchte oft ein Mann auf, der den Beinamen Rabe trug und für die Frau bestimmt war, die den Namen Anna führte«, stellte Rose fest. »Valerius Corvus, Hrabanus Valens, Valerian Raabe.«
»Dann würde ich mal unterstellen, ganz gegen jeden Verstand und alle Logik, Anahita, ist dein Netz fest genug gewebt. So, und nun gehe ich. Gebt mir aber bitte noch Bescheid, wann ihr wegfahrt. Ich möchte euch vorher noch etwas bringen.«
»Machen wir, Denise. Und – danke!«
»Ja, Denise – danke.«
Als sie gegangen war, dankte ich den Matronen im Stillen ein zweites Mal. Anschließend holte ich die Unterlagen über die Bretagne hervor, die ich mir besorgt hatte, als wir mit der Auswertung der Tagebücher begannen. Das Fremdenverkehrsbüro war hilfreich gewesen, und bei den Veranstaltungskalendern, den Prospekten von Museen und Sehenswürdigkeiten war auch ein Katalog
mit Ferienhäusern. Wir blätterten ihn gründlich durch und entschieden uns spontan für ein Haus bei Santec. In der Nähe der Ile de Sieck.
»Morgen frage ich an, ob ich es für uns mieten kann. Hoffentlich geht es kurzfristig. Aber vor Samstag werden wir es sicher nicht bekommen.«
»Fragen kann man ja mal. Übrigens, Cilly wird toben, wenn wir so einfach verschwinden.«
»Warum?«
»Sie hat sich unheimlich viel Mühe mit dem zweiten Tagebuch gegeben, und ich muss schon sagen, es ist spektakulär, was darin steht.«
»Wir haben ja noch vier Tage Zeit. Ich muss sowieso an etwas anderes denken und mich etwas ablenken. Die Sache mit Uschi geht mir an die Nieren.«
Cilly tobte wirklich, als wir ihr am Dienstagnachmittag von unserer geplanten Flucht in die Bretagne berichteten. Das Ferienhaus war frei, und ich hatte zwei Wochen fest gebucht, mit der Option auf eine dritte Woche.
»Das könnt ihr nicht bringen! Ich will mit! Ich will das Schloss und die Insel auch sehen! Die doofe Klassenfahrt mach’ ich nicht mit! Ich bin todkrank. Ich hab’ die Masern! Ich krieg’ die Syph! Ich werde Schaum vor dem Mund haben und in den Teppich beißen, wenn ihr mich nicht mitnehmt!«
Sie raste zum Telefon und rief ihre Mutter an, sprudelte über vor Empörung, protestierte, schmeichelte, argumentierte und war schließlich stumm und niedergeschlagen.
Tränen vergoss sie nicht.
Ich nahm ihr den Hörer aus der Hand.
»Sophia, wenn sie die Klassenfahrt nächste Woche nicht
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