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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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waren es auch, die versuchten, Marie-Anna in das festliche Geschehen mit einzubeziehen. Denn Madame war betont kühl zu ihr, Berlinde ignorierte sie weiterhin, Professor Klein war wie üblich ungesellig, und der Hausherr selbst hatte es sich angewöhnt, die Abende außer Haus zu verbringen. Marie-Anna schloss sich also den weihnachtlichen Vorbereitungen an, statt ihre eigenen Wege zu gehen. Da das Klima so kühl geworden war, hatte sie in den vergangenen Wochen nicht weiter um Erlaubnis gefragt und war an ihren freien Nachmittagen in das Theater an der Schmierstraße gegangen, um ihre alten Freunde aufzusuchen. Frizzi hatte sie mit einem Jubellaut begrüßt und sofort mit Wein und Kuchen bewirtet.
    »Wie hast du denn das geschafft, Liebelein? Den Herrn Kommerzialrat zu kapern? Mimmi meint, er kann ganz schön großzügig sein.«
    »Mimmi?«

    »Er hat vor zwei Jahren mit ihr ein Techtelmechtel gehabt. Wusstest du das nicht? Hat ihr eine eigene Wohnung bezahlt. Aber dann hat sie ihren Tenor gefunden, und die Sache war aus. Davor waren es, glaube ich, Sara und Elvira, die er ausgehalten hat. Hast du auch eine Wohnung von ihm bekommen?«
    »Nicht nur das, sogar noch drei Kinder dazu.«
    »Nee, nich? Du beschubst mich. Du warst doch noch im Karneval mit Jules zusammen. Oder hast du Drillinge bekommen?«
    Marie-Anna lachte.
    »Nein, nein, ich wohne in seinem Haus, und die Kinder sind seine Tochter, eine Nichte und ein Neffe.«
    »Du hast gar kein Verhältnis mit ihm?«
    »Doch, ein Dienstverhältnis.«
    »Oooch. Da versäumst du wohl was. Es heißt, er sei ein ungeheuer guter Liebhaber. Trotz dieser komischen Stimme. Aber ihr wart doch sehr vertraulich miteinander, da auf dem Ball.«
    »Nur ganz kurz und nur da. Er ist ein strenger Mann, Frizzi. Er achtet in seinem Haus sehr auf Formen.«
    »Und du?«
    »Ich achte ebenfalls streng auf die Formen.«
    »Liebschen, machst du dir da nichts vor?«
    Ein wenig traurig war Marie-Annas Lächeln schon, als sie antwortete: »Ich hatte einmal kurzzeitig gedacht, er würde seine harte Schale ein wenig öffnen. Aber der Panzer hat sich wieder geschlossen. Macht nichts. Vielleicht kommt Jules nächstes Jahr zurück. Er soll mit einer Wanderbühne unterwegs sein.«
    »Hab’ ich auch gehört. Hat einen neuen Namen angenommen. Kommst du denn ansonsten so zurecht? Ich meine, du hattest einen hübschen Fummel an, da auf dem Ball. Deswegen dachte ich ja...«
    »Nicht so gut wie zu Jules’ besten Zeiten, aber es geht.«

    »Wenn’s mal klamm wird, komm zu mir. Ich kenn’ jemanden, der einem meist zuverlässig aus der Bredouille hilft.«
    »Du kennst immer jemanden, Frizzi. Das scheint deine Bestimmung zu sein.«
    »Na, aber der Markus ist ein besonderer Fall.«
    »Inwiefern?« Marie-Anna gab sich unwissend.
    »Der Mann sieht gut aus und hat eine Pfandleihe. Du weißt doch, das Geschäft betreiben normalerweise so filzige Juden in muffigen Hinterstuben. Wenn du Kleinigkeiten zu versetzen oder zu verkaufen hast, macht er wenigstens einen anständigen Preis. Übrigens, deine Arbeitgeberin habe ich bei ihm auch schon getroffen.«
    »Bist du sicher? Die ist nämlich, weiß Gott, nicht klamm dran.«
    »Also, sie war zwar verschleiert, aber die Figüre, Schätzchen, und die süße Stimme waren nicht zu verkennen. Und wer behauptet, dass sie ihn traf, um etwas zu versetzen, mh?«
    Sie waren ins Klatschen gekommen, aber Marie-Anna behielt diese Bemerkung über Ursula Raabe im Sinn. Später im Jahr war sie noch zweimal im Theater gewesen, um mit Frizzi und anderen Schauspielern und Musikern, Tänzerinnen und Garderobieren zu plauschen. Über Raabes sprach sie nicht mehr.
    Doch mit milder Erheiterung beschrieb Marie-Anna abends die persönlichen Arrangements ihrer Arbeitgeber in ihrem Tagebuch. Dass der Kommerzialrat sich aus dem Theaterfundus bediente, mochte noch hingehen, aber sich Madame als Markus’ Geliebte vorzustellen, nötigte ihr ein heimliches Grinsen ab. Obwohl – Ursula Raabe hatte sich für ihre gut vierzig Jahre nicht schlecht gehalten. Sie war zwar füllig, aber gepflegt, und konnte von großer Herzlichkeit sein. Marie-Anna stellte sich mit leiser Schadenfreude vor, wie der attraktive
Abenteurer von einem molligen Sofakissen erstickt wurde.
     
    Das Christfest wurde mit dem Kirchgang eingeleitet und danach mit einem großen Familienessen begangen. Als Graciella verriet, dass Marie-Anna ganz passabel Klavier spielen konnte, wurde sie aufgefordert, weihnachtliche Melodien zu spielen.

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