Der Lilienring
hier, und der Herr Kommerzialrat zahlt mir einen durchaus angemessenen Lohn.«
»Nun, mein Angebot bleibt bestehen. Und nun schlafen Sie gut, mein Kind.«
Marie-Anna brachte noch die Gläser in die Küche, ging in den Salon zurück und räumte die Utensilien fort, die man für die Spiele und das Bleigießen verwendet
hatte. Nur den kleinen Raben aus Blei steckte sie ein. Ihn wollte sie behalten. Als sie in ihr Zimmer gehen wollte, erweckte jedoch das Licht, das durch den Türspalt zur Bibliothek fiel, ihre Aufmerksamkeit. Da sie glaubte, man habe vergessen, die Lichter zu löschen, trat sie ohne anzuklopfen ein. Sie wäre beinahe lautlos wieder hinausgeschlüpft, denn Valerian Raabe saß noch bei einer Flasche Rotwein in seinem Sessel. Aber er hatte sie schon bemerkt.
»Spionierst du mir auch nach?«, fragte er heiserer als sonst.
»Nein, Herr Kommerzialrat. Ich wollte nur die Kerzen löschen. Verzeihen Sie.«
»Bleib hier!«
»Herr Kommerzialrat, es ist besser, wenn ich gehe. Sie... Sie haben dem Rotwein reichlich zugesprochen.«
»Ich bin betrunken, meinst du? Ja, bin ich. Warum auch nicht? Der Abend war grauenvoll.«
»Was Sie tun, ist nicht meine Angelegenheit.«
»Stimmt. Und du bist wie immer sehr beherrscht, Marie-Anna.«
»Herr Kommerzialrat ist üblicherweise ebenfalls sehr beherrscht.«
»Ist er. Aber du hast Recht, ich sollte mich jetzt ebenfalls beherrschen. Zeit, zu Bett zu gehen!«
Er stellte das Glas ab und erhob sich. Aber das plötzliche Aufstehen gelang ihm nicht besonders gut. Er sackte in den Sessel zurück.
»Ich werde Ihren Kammerdiener rufen, Herr Kommerzialrat. Er wird Ihnen helfen, in Ihr Zimmer zu kommen.«
»Lass den armen Mann schlafen. Ich schaff das schon alleine!«
Marie-Anna stellte sich vor ihn.
»Sie schaffen es nur noch auf allen vieren, Monsieur.
Und das wäre doch ziemlich entwürdigend, nicht wahr, Herr Kommerzialrat? Wenn es Ihr Kammerdiener nicht sein soll, dann werde ich Ihnen helfen.«
»Das kannst du nicht.«
»Wetten?«
Er sah auf und grinste sie an.
»Du besitzt eine ganz schöne Courage. Ich bin wohl nicht der erste Mann, den du trunken ins Bett gezerrt hast?«
»Nicht der erste. Nun nehmen Sie endlich meinen Arm, Herr Kommerzialrat.«
»Hör mit dem Kommerzialrat auf!«
»Gut, für den Augenblick sollen Sie Ihren Willen haben. Aber jetzt hoch, Monsieur Raabe!«
Sie half ihm aufstehen, und als er leicht schwankend neben ihr stand, legte er seinen Arm um ihre Taille.
»Na dann los, Mädchen. Bring mich ins Bett.«
Es war eine nicht ganz einfache Aufgabe, den gro ßen Mann möglichst leise die Stufen hochzuführen. Er war recht unsicher auf den Beinen und wurde auf halber Höhe der Treppe von einem heiseren Lachen geschüttelt. Endlich hatte Marie-Anna es bis an die Zimmertür geschafft und öffnete sie für ihn. Eigentlich wollte sie ihn an der Schwelle seinem Schicksal überlassen, doch er hielt ihre Taille weiter mit festem Griff umfangen.
»Zu Bett, hast du gesagt!«
»Sie, Monsieur, nicht ich.«
»Bestimmt nicht, Marie-Anna? Ist doch wohl nicht so neu für dich, oder?«
»Gibt Ihnen dieser Umstand das Recht, von mir einen solchen Dienst einzufordern?«
Er lachte auf.
»Hast Recht, mein Herz. Viel Freude würde ich dir jetzt sowieso nicht mehr bereiten.«
»Also, vergessen wir, was Sie eben gesagt haben!«
Sie zerrte ihn durch das Arbeitszimmer in den angrenzenden Schlafraum. Ein hohes Pfostenbett beherrschte dieses Zimmer, die Decke war bereits zurückgeschlagen, ein Nachtlicht brannte, und im Kamin verströmte die Glut noch eine restliche Wärme.
»Setzen Sie sich auf die Bettkante, dann helfe ich Ihnen aus den Stiefeln.«
»Willst du mich auch noch ausziehen?«
»Sie können mit den Stiefeln gerne zu Bett gehen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Er lachte noch einmal und ließ sich ihre Hilfe gefallen.
»Auch schon mehr Männern die Stiefel ausgezogen?«
»Muss ich Ihnen darauf antworten?«
»Nein, Marie-Anna.« Er zerrte an seinem Halstuch. »Mistding.«
Marie-Anna lachte leise.
»Mit Halstüchern habe ich ebenfalls Erfahrung. Lassen Sie nur.«
»Finger weg, Mädchen.«
»Schon gut. Den Rest bekommen Sie selbst hin, denke ich. Gute Nacht.«
Er griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich. Er klang plötzlich sehr nüchtern.
»Marie-Anna, ich bin ein Trottel. Verzeihen Sie mir.« Dann küsste er ihre Hand und ließ sie los. »Gehen Sie. Gehen Sie! Rasch.«
Valerian Raabe ließ am nächsten Tag durch nichts erkennen, dass er in
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