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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sammeln.
    »Tante Berlinde hat noch nicht mit Papa geredet. Wegen der Hosen, meine ich.«
    »Sie hatte wohl auch bislang keine Zeit dazu. Wollen wir es trotzdem wagen?«
    »Wenn du es tust! Ich bin bereit!«
    »Allons enfants!«
    »Au ja, zetteln wir eine Revolution an!«
    Sie entkamen ungescholten, verbrachten zwei herrliche Stunden auf den Uferpfaden am Rhein und jagten übermütig ventre à terre zurück.
    Es traf sich, dass Valerian Raabe ihnen auf seinem Pferd
einige hundert Meter vor der alten Ummauerung begegnete. Sie zügelten ihre Tiere und hielten neben ihm an, Graciella mit einem herausfordernd trotzigen Gesicht, Marie-Anna mit leichter Beklemmung. Ganz wohl war ihr bei dieser Begegnung jetzt nicht.
    »Ich habe schon erfahren, dass ihr wie die wilden Amazonen zu reiten pflegt. Ich muss sagen, meine Billigung findet das nicht, Marie-Anna. Sie haben nicht das Recht, meine Tochter zu gefährden.«
    »Monsieur Raabe, sie ist auf diese Weise weit weniger gefährdet als im Damensattel.«
    »Sie hat sich bislang recht gut auf gesittete Weise auf dem Pferd gehalten.«
    »Sie ist eine mutige Reiterin. Es ist entschieden sinnvoller, auf diese Art über Stock und Stein zu reiten. Im Park und auf gepflegten Reitwegen werden wir beide wieder züchtig im Damensattel reiten.«
    »Mademoiselle, das ist es nicht, was mir Anlass zur Sorge gibt. Diese Haltung auf dem Pferd schadet der weiblichen Physiologie. Insbesondere der junger Mädchen.«
    »Aberglauben! Mein Vater hat mich rittlings aufs Pferd gesetzt, da konnte ich kaum laufen. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr bin ich nie anders geritten. Und danach, so oft sich die Möglichkeit ergab, auch nicht. Ich habe nie gesundheitliche Schäden dadurch erlitten.«
    »Wollen Sie mich nicht verstehen, Mademoiselle? Ich wünsche nicht, dass meine Tochter leichtsinnig ihre Unschuld aufs Spiel setzt!«
    »Tut sie nicht, Monsieur. Ich erklärte Ihnen doch, ich bin von klein auf so geritten, meist sogar ohne Sattel. Dennoch war ich bis zu meinem einundzwanzigsten Lebensjahr eindeutig unschuldig.« Sie sah, wie er sich verstohlen auf die Unterlippe biss, und sie konnte es sich nicht verkneifen, leise hinzuzufügen: »Dass ich es
seit jener Zeit nicht mehr bin, habe ich nicht gerade einem wilden Ritt zu verdanken.«
    Er drehte sich weg, und Graciella zupfte angstvoll an Marie-Annas Rock.
    »Lass, Ciella!«
    Als er sich wieder umwandte, hatte er seine Züge wieder unter Kontrolle.
    »Mademoiselle de Kerjean!«
    »Jetzt werden Sie wieder förmlich, Herr Kommerzialrat. Kerker, nicht unter fünf Jahren?«
    »Verdammt, Marie-Anna, Sie untergraben meine Autorität!«
    »Naturellement, Monsieur.«
    »Hören Sie auf, mich so anzulachen. Was soll meine Tochter von mir denken?«
    »Dass Sie ein verständiger Vater sind und sich um ihre Sicherheit im Sattel sorgen. Haben Sie je in Ihrem Leben in einem Damensattel gesessen und versucht, sich bei einem Parforceritt darin zu halten?«
    Er lenkte sein Pferd an Graciellas Seite.
    »Fühlst du dich auf dem Pferd so sicherer?«
    »Ja, Papa.«
    »Du hast dabei auch keine Schmerzen oder Unwohlsein?«
    »Aber nein, Papa. Es ist sogar viel angenehmer, als seitwärts zu sitzen.«
    »Wo hast du diese – ähm – unsäglichen Beinkleider her?«
    »Aus der Truhe mit Ihren alten Sachen.«
    »Kann man dem Kind vernünftige Hosen zur Verfügung stellen?«
    Marie-Anna zog den Rock noch etwas höher.
    »Derartige? Wenn ich etwas derben Baumwollstoff bekommen könnte, nähe ich ihr solche.«
    »Fragt meine Mutter danach.«

    »Danke, Papa. Sie sind... Sie sind... also, ich mag Sie, Papa.«
    »Macht, dass ihr in den Hof kommt.«
    Nach zwei Wochen ohne nennenswerte Zwischenfälle hatten sich alle an das Leben auf dem Land gewöhnt. Die Einzigen, die noch vornehme Blässe zeigten, waren Berlinde und Rosemarie. Erstere, weil sie das Haus so selten wie möglich verließ und wenn, dann nur ausgestattet mit breitkrempigem Hut und Sonnenschirm, und sich vor allem im Schatten aufhielt. Letztere, weil ihr heller Teint außer einer zarten Röte keine Farbe annahm. Aber Rosemarie blühte dennoch auf, verlor ihre blaustrümpfige Steifheit endgültig und war bereit, auch an den gewagteren Ausflügen von Graciella und Marie-Anna teilzunehmen.
    So kam es zu der nächsten empörenden Begebenheit.
    Graciella hatte es sich, angeregt durch die naturkundlichen Studien, zur Aufgabe gemacht, ein Büchlein mit getrockneten und gepressten Kräutern und Blumen anzulegen, Rosemarie war

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