Der Lilienring
mal durch den Gemüsegarten gehen und uns mit den Erbsenblüten und ihren Farben beschäftigen. Für euch Ältere habe ich heute Nacht eine Lektion vorgesehen. Es wird spät werden, also haltet jetzt besser einen Mittagsschlaf.«
»Was haben Sie vor, Papa?«
»Es gibt heute gegen Mitternacht eine Mondfinsternis.«
Die beiden Kinder protestierten, sie wollten ebenfalls an diesem spektakulären Ereignis teilhaben, aber der Hausherr vertröstete sie auf ein anderes Mal.
Marie-Anna hätte beinahe den Zeitpunkt verschlafen, und auch Rosemarie kämpfte mit der Müdigkeit. Gähnend hielten sie sich bis elf Uhr wach, dann rüttelten sie Graciella aus dem ersten Schlummer und klopften an die Tür des Turmzimmers.
»Kommt herein, wir steigen auf das Dach hoch!«
Valerian Raabe schritt die enge Treppe voran, die auf die zinnenbewehrte Plattform führte, von der man einen weiten Blick über das Land hatte. Schlafend lagen die Wiesen und Weiden im blauen Licht der Nacht unter ihnen. Schwarze Schatten warfen Bäume, Büsche und die Hütten der Schäfer und Waldbauern. Der Himmel war klar und wolkenlos, die silberne Scheibe des Mondes stand hoch über den Wipfeln des Waldes.
»Ein Teleskop? Sie haben ein Teleskop mitgebracht!« Rosemarie war begeistert, als sie das Fernrohr betrachtete, das auf einem Stativ aufgebaut war. »Ich habe noch nie durch so etwas geschaut. Darf ich?«
»Langsam, Rosemarie. Zuerst wollen wir etwas Theorie betreiben. Was wisst ihr über den Mond?«
»Er kreist um die Erde und kann mal zunehmen und mal abnehmen.«
»Und, Graciella, wodurch geschieht das?«
»Ähm …«
Das astrologische Wissen seiner Zuhörerinnen erwies sich als reichlich bruchstückhaft. Also erläuterte er ihnen zunächst einmal die Wirkung von Sonneneinstrahlung und Erdschatten auf den Trabanten, seine Phasen und die Sonderform der Verfinsterung. Alle Müdigkeit war verflogen, und begeistert untersuchten die drei mit dem Fernrohr die Mondoberfläche und beobachteten, wie sich langsam der kreisförmige Schatten der Erde über die silberne Fläche schob und sie kupferfarben färbte.
Während sich Graciella und Rosemarie am Teleskop abwechselten, begann Marie-Anna ein leises Gespräch mit Valerian Raabe.
»Können wir die Planeten ebenso durch das Glas sehen, Monsieur Raabe?«
»Wenn Sie einen ausmachen können, versuchen Sie es, Marie-Anna.«
»Das kann ich nicht. Helfen Sie mir?«
»Suchen Sie am westlichen Himmel einmal einen rötlichen Punkt.«
Intensiv studierte Marie-Anna das dunkle, sternenglitzernde Firmament und zeigte dann in die angegebene Richtung.
»Stimmt. Das dort ist der Mars«, erklärte er ihr.
»Er ist wirklich rot!«
»Warum erstaunt Sie das?«
»Ich dachte, die Farben, die man den Planeten zuordnet, seinen nur symbolisch gemeint.«
»Sie kennen sich mit den Planetenfarben aus?«
»Ein wenig.«
»Was wissen Sie noch darüber?«
»Oh, die Planeten sind nach den griechischen Göttern benannt, und die haben bestimmte Charakterzüge. So sagt man dem Mars nach, er sei ein kriegerischer Held und dass das Rot seiner Energie und Stärke entspricht.«
»Und?«
»Er ein Zerstörer sein kann.«
»Und?«
»Der fünften Sphäre zugeordnet ist.«
»Aha. Mademoiselle hört die Sphärenmusik?«
»Leise nur, Monsieur.«
»Was wissen Sie über die anderen Planeten?«
»Venus und Merkur sieht man nur in den Morgenund Abendstunden. Jupiter ist der hellste unter ihnen und Saturn ist der äußerste.«
»Welche Eigenschaften ordnen Sie ihnen zu?«
»Merkur ist der schnelle, der Götterbote, der mit geflügeltem Schritt die Nachrichten überbringt. Aber er ist auch trickreich und nie um eine Ausrede verlegen, wortgewandt und nicht immer ganz ehrlich.«
»Nicht schlecht. Weiter!«
»Er besetzt die achte Sphäre, die des Intellekts, und seine Farbe ist gelbrot.«
»Wo sehen Sie die Venus?«
»In der siebenten Sphäre, sie soll rosa und grün sein und die Quelle der Kunst und der... der Gefühle?«
»Gut. Jupiter?«
»In der vierten Sphäre, der von Toleranz, Schutz und Güte. Sie ist purpurfarben?«
»Richtig. Sonne und Mond?«
»Sonne und Mond sind eigentlich keine Wandelsterne. Doch sie haben ihre eigenen Sphären. Die Sonne beherrscht die sechste, die der Harmonie und des Opfers. Ihre Farbe ist golden. Der silberne Mond regiert in der neunten die Träume und Visionen.«
»Kind, woher haben Sie diese Kenntnisse? Sie sind gewöhnlich nicht jedem zugänglich.«
»Ich habe eine Weile, wie Sie ja
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