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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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halten als in dem ungeliebten Damensattel. Sie ritten langsam zum Waldrand hin, folgten dem Pfad, der sich dort gabelte. Die eine Richtung führte zum Dorf, die andere zu einem alten Steinbruch.
    »Nicht ins Dorf, Ciella.«
    »Nein. Ich wollte dir sowieso etwas zeigen. Da lang!«
    Sie nahmen den ausgetretenen Weg, der von den Holzschlägern, den Zeitlern, den Köhlern und den Beeren-, Pilz- und Kräutersammlerinnen seit Jahrhunderten benutzt wurde. Keiner dieser fleißigen Dorfbewohner begegnete ihnen an diesem Vormittag. Ciella wusste offensichtlich, wohin sie sich zu wenden hatte, und Marie-Anna folgte ihr auf verschlungenen Pfaden teils durch den Wald, teils an den Hecken vorbei.
    »Da vorne ist es. Wir steigen ab. Hilfst du mir bitte?«
    Marie-Anna zeigte dem Mädchen, wie sie aus dem ungewohnten
Sattel vom Pferderücken kam, und sie banden die Tiere an einem Bäumchen an.
    Ein kleiner freier Platz am Waldrand tat sich vor ihnen auf. Er war zwar von wilden Gewächsen bestanden, doch wirkte er seltsam gepflegt, wie ein Gärtchen. Auf dem grasbewachsenen Boden stand ein behauener Stein, der ein tempelförmiges Standbild trug. Rechts von ihm rankte sich eine Heckenrose darüber, deren weiße Blüten sich über den steinernen Giebel neigten und süß dufteten. Das Laub war dicht und glänzte in dunklem Grün. Links stand ein Weißdornbusch, dessen erste Früchte rot zwischen den Blättern leuchteten. Hinter dem Stein ragte ein Vogelbeerbaum auf. Marie-Anna wurde mit einem Mal klar, was den gepflegten Eindruck hinterließ – keine einzige verblühte Blüte gab es an den Pflanzen auf dem samtigen Rasen. Doch zwinkerten ihnen die gelben Augen der Gänseblümchen zwischen den Gräsern zu, nickten gelb-violette Stiefmütterchen um den halb versunkenen Stein, und die Blätter von lange verblühten Maiglöckchen bildeten eine Insel unter den Büschen.
    Sie ging näher heran, um die Inschrift zu lesen und die dargestellte Szene zu betrachten. Der behauene Stein war vom Alter verwittert, doch mit einiger Mühe entzifferte Marie-Anna die Teile der Inschrift, die noch zu sehen waren. Er galt den aufanischen Matronen und zeigte drei Frauen in langen, faltenreichen Gewändern, die nebeneinander saßen. Die beiden äußeren trugen die runden Hauben der Verheirateten, das Mädchen in der Mitte war mit offenen Haaren abgebildet. Zu Füßen der einen älteren Matrone lag ein kleines Tier, Hund oder Katze, die andere hielt ein Füllhorn im Schoß. Das Mädchen hatte eine leere Schale in den Händen. Leer von steinernen Gaben, doch gefüllt mit ein paar winzigen roten Walderdbeeren.

    »Es heißt, es seien drei heilige Jungfrauen, Spes, Caritas und Fides. Sie sind wundertätig sein, sagt man.«
    »Was wohl die kleinen Beerengaben erklärt.«
    »Ich... ich war auch schon mal hier und habe mir was gewünscht.«
    »Und, Ciella, ist es in Erfüllung gegangen?«
    »Ja, ist es.« Das Mädchen streichelte über den Stein und pflückte dann vorsichtig eine Rosenknospe von dem Strauch. »Ich mache das jedes Mal. Findest du das töricht?«
    Marie-Anna pflückte ein Gänseblümchen.
    »Überhaupt nicht. Es ist ein sehr, sehr alter Stein, Ciella, und schon viele Menschen haben ihn verehrt und wahrscheinlich vor ihm gebetet. Die drei Jungfrauen, oder besser, Matronen sind sicher denen sehr wohlgesonnen, die diesen Platz in Ordnung halten und ihnen Achtung entgegenbringen.«
    »Warum Matronen, Marie-Anna?«
    »Das besagt die Inschrift. Matronen – römische Frauen also. Caritas, Fides und Spes waren ja wohl auch Römerinnen.«
    »Ja, ihre Mutter hieß Sophia, und sie wurden von Kaiser Hadrian hingerichtet, weil sie Christinnen waren.«
    »Sagt die Legende.«
    »Glaubst du das nicht?«
    »Ich weiß nicht. Ich denke, die Jungfrauen Glaube, Liebe und Hoffnung mit ihrer Mutter Weisheit stellen eine Allegorie dar. Aber ohne Zweifel befinden wir uns hier an einem uralten Heiligtum, und es wird den Matronen gleichgültig sein, mit welchem Namen sie heute angeredet werden, solange es mit Ehrerbietung geschieht.«
    Sie sammelten noch ein paar abgebrochene Zweiglein und Blättchen auf, zupften zwei, drei verblühte Blüten ab und verließen dann schweigend den stillen Ort.

    Sie kehrten zu den Pferden zurück, und Marie-Anna half Graciella in den Sattel.
    »Und nun?«
    »Zum Steinbruch hinunter und dann unten am Rhein über den Leinpfad zurück. Hier oben der Weg ist übrigens die Abkürzung, die man nehmen kann, wenn man nach Köln reiten will.«
    »Ach

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