Der Lilienring
auszankt. Manchmal wünschte ich, er könnte richtig laut werden. Sein leises Schimpfen macht mich immer ganz fertig. Ich weiß nie, was ich sagen soll.«
»Das glaube ich dir.«
»Diesmal bin ich auch noch diejenige, die damit angefangen hat.«
»Wir haben alle drei damit angefangen!«, wandte Rosemarie ein. »Und ich schäme mich nicht. So!«
Marie-Anna lächelte sie an: »So trotzig und so tapfer? Das muss mein schlechter Einfluss auf euch sein.«
»Dich trifft keine Schuld.«
»Na, das wird er anders sehen. Aber was soll’s, lassen wir das Donnerwetter über uns ergehen. Mehr, als uns Stubenarrest bei Wasser und Brot zu verordnen, kann er wohl nicht machen. Er verriet mir mal, er sei kein Freund der Prügelstrafe.«
»Vielleicht schickt er uns nach Hause.«
»Dann straft er sich nur selbst, denn er wird uns kaum alleine in Köln wohnen lassen. Also, wir wollen alle drei schön demütig und beschämt sein und keinerlei Widerworte
geben. Ich glaube, das ist die beste Methode, ihn zu besänftigen«, schlug Marie-Anna vor.
»Ich mag aber nicht demütig...«
»Mir zuliebe, Graciella. Du wirst sehen, das hat seine Wirkung.«
Valerian Raabe ließ die drei durch eine Magd in sein Turmzimmer bitten. Mit sittsam gesenkten Augen, sorgsam geflochtenen, feuchten Zöpfen und ordentlich gebundenen Schürzen traten sie ein.
»Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht, am hellen Tag an einer von jedermann einsehbaren Stelle ohne jegliche Bekleidung ins Wasser zu steigen?«
»Es war so heiß, Papa«, flüsterte Graciella mit kleinmädchenhafter Stimme.
»Dass ein Kind wie du jedem verlockenden Einfall nachgibt, kann ich ja noch verstehen, aber was sagen die erwachsenen jungen Damen denn dazu?«
»Es war sehr heiß, Herr Onkel«, flüsterte Rosemarie mit nach Verzeihung heischender Stimme.
»Ich vermute, Sie haben sie dazu angestiftet, Marie-Anna?«
»Wissen Sie, es war wirklich heiß, Herr Kommerzialrat«, flüsterte Marie-Anna mit erstickter Stimme.
»Wir schämen uns ganz furchtbar«, fügte Graciella mit einem angedeuteten Schluchzen hinzu.
»Den Teufel tut ihr! Werdet ihr wohl bald mal die Köpfe heben und mir in die Augen sehen!«
»Aber wir schämen uns doch so furchtbar, Herr Onkel!«
»Ich habe wenigstens eine Rheintochter gesehen, die sich keinen Deut schämte!«
»Aber jetzt, Herr Kommerzialrat, schäme ich mich.«
Hilflos sah Valerian Raabe von einer zur andern.
»Was soll ich nur mit euch machen?«
»Wasser und Brot?«
»Auspeitschen?«
»Im Rhein ersäufen?«
»Weibervolk! Hört zu, das war wirklich ein selten dummer Streich. Ich bin nicht der Einzige, der den Leinpfad dort unten benutzt. Ihr seid drei schöne junge Frauen und eine verdammte Versuchung für jeden, der des Weges kommt. Seht ihr das zumindest ein?«
»Ja, Monsieur. Es war sehr unüberlegt. Es wird nicht mehr vorkommen. Wir waren in übermütiger Stimmung und …«
»Es war meine Idee, Papa. Marie-Anna hat nichts damit zu tun.«
»Und mich brauchte man ebenfalls nicht lange zu überreden«, meinte Rosemarie.
»Aber, Monsieur …«, Marie-Annas Lippen zuckten verdächtig, »es war sehr schön im Wasser.«
Er betrachtete die drei Sünderinnen streng, die ihm jetzt in die Augen sahen und aufrichtig betroffen wirkten. Plötzlich aber stahl sich ein verständnisvolles Lächeln in seine Augen.
»Ich trage mich seit einigen Jahren mit der Idee, hinter dem Haus ein Badehaus einzurichten. Sieht aus, als ob ich diese Maßnahme vorantreiben muss.«
»Ein Badehaus?«
»So wie es die Römer in ihren Villen hatten. Ich habe einige Zeichnungen alter römischer Villen studiert, wie man sie in Pompeji und Heraculaneum vorgefunden hat.«
»Waren Sie dort, Monsieur Raabe?«
»Ja, Marie-Anna, ich war dort. Als junger Mann, vor der Revolution und später noch einmal. Es hat mich tief beeindruckt.«
»Erzählen Sie uns davon, Papa?«
»Muss ich ja wohl.«
22. Kapitel
Eine Mondfinsternis
Zwei Tage später, am Montag, ritt Valerian Raabe schon am frühen Morgen nach Köln, um sich mit einem ihm bekannten Bauunternehmer zu treffen, mit dem er die Pläne zu seinem Badehaus diskutieren wollte. Er blieb zwei Tage und kam am Mittwoch um die Mittagszeit wieder zurück. In seinem Gepäck hatte er einige merkwürdige Dinge dabei.
»Unterrichten Sie uns heute wieder?«, fragte Guenevere, als sie sich zum Essen zusammensetzten.
»So wissbegierig, Kleine?«
»Mit Ihnen macht Lernen Spaß, Onkel.«
»So, so? Nun, dann wollen wir gleich
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