Der Lilienring
beständig auf der Suche nach Duftpflanzen für ihre Potpourris, und Marie-Anna erfreute sich einfach an der Überfülle von Kräutern und Blumen. An einem besonders heißen Nachmittag waren sie zu dritt ausgeritten, um ihrer Sammelleidenschaft nachzugehen. Weit waren sie nicht gekommen, lediglich bis an einen Altrheinarm, dessen Auenwiesen eine reiche Beute versprachen.
»Ist das heiß heute!«, schnaufte Graciella, die in der prallen Sonne nach einer besonders exotischen Pflanze gestöbert und wahrhaftig eine wilde Orchidee gefunden hatte, die Rosemarie als geflecktes Knabenkraut klassifizierte.
Sie ließ sich neben Marie-Anna, die im Schatten gesessen hatte, ins Gras fallen und hob einen der Kränze auf, die diese aus Margeriten, blauen Glockenblumen und gelbem
Hahnenfuß geflochten hatte, und setzte ihn sich auf den Kopf.
»Bleib unter den Bäumen, Ciella. Hier ist es kühler.«
»Noch kühler wäre es im Wasser! Weißt du noch, Rosemarie, früher habe ich hier oft baden dürfen.«
»Da warst du noch ein Hemdenmatz und keine junge Dame.«
»Die dürfen natürlich nicht ihre Schuhe und Strümpfe ausziehen und die Füße kühlen?«
»Also, eigentlich nicht. Aber...«
»Aber …?«
Rosemarie begann, ihre Stiefelchen aufzuschnüren.
»Aber eigentlich ist die Idee gar nicht so schlecht.«
Marie-Anna kicherte und begann ebenfalls, ihre Füße von den warmen Hüllen zu befreien. Dann lüpften alle drei ihre Röcke, steckten sie in der Taille auf wie die Bauersfrauen und wateten vom sandigen Ufer aus in das träge fließende Wasser des Seitenarms.
»Ah, ist das schön!«, seufzte Graciella. »Hast du das als Kind auch gemacht, Marie-Anna?«
»Sogar weit mehr, Ciella. Ich war häufig am Meer. In meiner Heimat gibt es lange Strände mit feinem, weißem Sand. Wenn es sehr heiß war, dann bin ich hinausgeschwommen. Das war absolut köstlich.«
»Hier könnte man ebenfalls schwimmen. Schau, da wird es tiefer!« Ein erschreckter Aufschrei und ein fröhliches Lachen erklangen, als Graciella in eine kleine Untiefe geriet und bis zu den Hüften versank.
Sie watete hinaus und begann, sich des Rockes und der Unterröcke zu entledigen, um sie zum Trocknen auszubreiten.
»Graciella, wenn jemand vorbeikommt!«
»Wer sollte hier schon vorbeikommen?« Sie kicherte übermütig und zog auch das Mieder und das Hemd aus. »Ich gehe schwimmen!«
»Mh!«, gab Marie-Anna von sich, und ihre Augen funkelten. Die Versuchung war gewaltig.
»Marie-Anna, nicht!«
Rosemarie war leicht entsetzt, doch dann ließ sie sich anstecken. Kurz darauf tummelten sich drei Nixen im kühlen Wasser, dass es nur so spritzte.
»Marie-Anna, du siehst aus wie die Fleisch gewordene Loreley«, gluckste Rosemarie, als Marie-Anna ihre nassen Haare auswand. Ihr Zopf hatte sich gelöst, und die hüftlangen blonden Haare klebten ihr in Wellen auf der Haut.
»Wer ist Loreley?«
»Eine Sirene. Eine blonde Frau, die auf einem Felsen am Rhein sitzt, ihre goldenen Locken kämmt und dabei singt. Sie betört damit alle Schiffer, die daraufhin gegen die Felsen im Strom fahren und untergehen.«
»Was für ein garstiges Weib!«
»Aber ein besonders schönes.«
»Oh, Marie-Anna, ich glaube, du solltest gerade jetzt ein betörendes Liedchen anstimmen, wir bekommen einen Gast...«
Graciella war blutrot geworden und versank bis zu den Schultern im Wasser. Rosemarie drehte sich um, stieß ein ersticktes »Oh!« aus und tauchte ebenfalls unter. Marie-Anna ließ ihre Haare los und wandte sich hoch aufgerichtet zum Ufer. Valerian Raabe, auf seinem großen Rappen, hielt eben bei ihren Kleidern an.
»Merde«, flüsterte sie.
Er machte ihr ein herrisches Zeichen, aus dem Wasser zu kommen, stieg ab und drehte ihnen den Rücken zu.
»Los, raus.«
Sie eilten den Sandstreifen hoch und warfen sich die Hemden über ihre nassen Körper. Es brauchte einige Zeit, bis sie sich präsentabel gekleidet hatten, und
alle drei standen sie dann mit tropfenden Haaren wie die armen Sünderlein vor dem gestrengen Kommerzialrat.
»Ihr werdet auf der Stelle nach Hause reiten und auf euer Zimmer gehen!«
»Ja, Papa.«
»Wir unterhalten uns noch darüber!«
»Ja, Herr Onkel.«
»Das wird Konsequenzen haben.«
»Ja, Herr Kommerzialrat.«
In gedrückter Stimmung kehrten die drei Badenixen zum Hof zurück und schlüpften kleinlaut in ihre Kammer, um sich der ausgiebigen Toilette zu widmen.
»Er wird ziemlich sauer sein«, erklärte Graciella. »Es ist schrecklich, wenn er einen
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