Der Linkshänder – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
Flurgarderobe erwartet, aber kein Schrotgewehr.
Ich tat einige Schritte ins Wohnzimmer und sah mich nach einem Waffenschrank um. Ich hörte, wie der alte Mann in der Küche immer noch mit sich selber sprach. Bei dem Tempo, mit dem er zum Telefon stürzte, würde er es noch innerhalb der nächsten Stunde erreichen.
Ich sah noch kurz ins Eßzimmer. Niemand bewahrt ein Schrotgewehr im Eßzimmer auf, aber nachschauen mußte ich schon. Der alte Mann bemerkte mich von der Küche aus und sagte mir tüchtig Bescheid: »Was zum Teufel stimmt mit Ihnen nicht? Wo wollen Sie hin?«
»Kümmern Sie sich gar nicht um mich«, sagte ich. »Ich fühle mich ganz wie zu Hause.«
»Auf der Stelle verlassen Sie das Haus!« sagte er. »Ich warne Sie!« Er hielt das Telefon in der Hand und schüttelte es drohend in meine Richtung.
»Haben Sie Leopold schon angerufen?« fragte ich ihn.
»Das werde ich! Auf der Stelle! Warten Sie nur, wenn er hier ist! Was der mit Ihnen anstellen wird!«
Ich schüttelte den Kopf und sah mir den Flur zu meiner Linken an. Es gab vier Türen im Flur. Eine davon war geschlossen. Als ich mich ihr näherte, begann ich ein zischendes Geräusch zu hören.
»Wagen Sie bloß nicht, dahin zu gehen!« sagte der alte Mann hinter mir. »Hören Sie mich? Das ist ihr Zimmer, verdammt noch mal!«
»Nun rufen Sie endlich an.«
»Stören Sie diese Frau nicht! Ich schwöre bei Gott, das wird Ihnen noch leid tun! Sie hat den bösen Blick, und Sie werden am ganzen Leib eiternde Schwären bekommen!«
Das hielt mich gerade so lange auf, um mit den Augen rollen zu können. Dann klopfte ich behutsam an die Türe.
»Eiternde Schwären!« rief er. »Ich warne Sie!«
Ich klopfte noch einmal, jetzt etwas lauter.
»Herein«, sagte sie. Als ich die Tür öffnete, sah ich Madame Valeska in einem Schaukelstuhl neben ihrem Bett sitzen. Ein durchsichtiger Schlauch führte von der zischenden Sauerstoffflasche zu ihrer Nase, so wie ich es schon in der vorigen Woche bei ihr gesehen hatte. Derselbe Geruch nach Medizin und Menthol umgab sie auch jetzt. Eine Häkeldecke war um ihre Beine geschlungen, und ein Buch ruhte in ihrem Schoß.
»Sie hexen mir doch keine eiternden Schwären an, oder?« sagte ich.
»Ich hatte das Gefühl, daß ich Sie wiedersehen würde.«
»Es tut mir leid, so einfach bei Ihnen reinzuplatzen.«
»Wirkt ganz so, als hätten Sie den armen William in Aufregung versetzt«, sagte sie. »Ich hoffe nur, daß er jetzt hier bei uns keinen Herzanfall bekommt.«
»Er ruft Ihren Sohn an.«
»William kommt tagsüber zu uns, um mir Gesellschaft zu leisten«, erklärte sie. »Er hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt.«
»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen«, sagte ich. »Wenn es Ihnen recht ist.«
»Kommen Sie doch näher«, sagte sie. »Ich möchte Ihre Hände sehen.«
Ich ging ins Zimmer. Es wirkte mehr als zehn Grad wärmer als der Rest des Hauses. Bei dem anderen Sessel, dem, den William benutzt haben mußte, um ihr Gesellschaft zu leisten, handelte es sich um einen großen alten Lehnstuhl auf der anderen Seite des Zimmers. Ich hatte keine Lust, ihn zu ihr hin zu schieben, deshalb ging ich zu ihr, stellte mich vor sie und streckte die Hände aus. So auf sie herunterzusehen war mir peinlich, deshalb ging ich in die Hocke wie einst als Catcher beim Baseball. Meinen Beinen gefiel das überhaupt nicht, und es half mir gar nichts, daß ich etliche Jahre meines Lebens damit zugebracht hatte, diese Haltung einige hundert Male am Tag einzunehmen.
Als ich so mit ihr auf Augenhöhe war, nahm sie meine Hände in die ihren. Es waren die Hände einer alten Frau, von neunzig Jahren Arbeit gekrümmt, aber ich spürte eine überraschende Kraft in ihnen. »Was ist denn so wichtig, daß Sie zu mir ins Haus kommen und William so furchtbar aufregen müssen?«
»Sie erinnern sich an Randy, den Mann, der mit mir hier war?«
»Den Baseballspieler«, sagte sie. »Sind Sie Rechtshänder?«
»Ja«, sagte ich.
»Ihre linke Hand zeigt ihr Herkommen«, sagte sie. »Das, was Ihnen bei der Geburt mitgegeben worden ist. Ihre rechte Hand zeigt Ihre gegenwärtige Natur und was die Zukunft Ihnen bringen mag.« Sie nahm meine rechte Hand und fuhr die Linien mit gekrümmtem Finger ab.
»Er wurde letzte Nacht niedergeschossen«, sagte ich.
»Das tut mir aber leid. Aber er lebt, oder? Ich hätte es an Ihrer Stimme gehört, wenn er getötet worden wäre.«
»Doch, er lebt.«
Sie nickte mit dem Kopf. Noch immer sah sie nicht von
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