Der Lippenstift meiner Mutter
selbst die Schüler aus meiner Schule auf der Straße nach mir umdrehen. Und ich hasse Mariola und ihre weiße und nach Kartoffelrosen duftende Haut. Ich will sie eifersüchtig machen, sie soll vor Eifersucht auf mich verwelken und verbrennen. Und ich möchte, dass Herr Lupicki meine Schuhe und die meines Mannes mit Respekt behandelt, obwohl Krzysiek ein Trinker und ein Nichtsnutz ist!«
Eines Nachmittags wurde Bartek beim Tanzen in der Küche von seinem Vater erwischt, der in der Mittagspause nach Hause gekommen war, weil er sein Portemonnaie mit dem Führerschein vergessen hatte. Quecksilber war bei Oma Olcia, die Mutter noch in der Schule.
Das Schusterkind war nackt und wollte sich gerade eine Zigarette zwischen die rot geschminkten Lippen stecken, und die Kannibalen und Kopfjäger aus Neuguinea, die Bartek durch die Lektüre der Bücher von Alfred Szklarski liebgewonnen hatte, tanzten mit ihm zusammen zu den »Ummagumma«-Klängen, den wilden Liedern der Menschenfresser. Bartek wurde brutal aus dieser Ekstase herausgerissen: »Du hast dich geschminkt? Und du bist nackt? Ich bringe dich um! Ich bringe dich um!«, drohte ihm sein Vater und zog seinen Gürtel aus der Hose, um das Schusterkind zu verdreschen.
Den Rest des Tages verbrachte Bartek in Angst, weil der Vater angekündigt hatte, er würde ihn nach Feierabend richtig bestrafen, das sei nur ein Vorspiel gewesen, die paar Schläge ins Gesicht und auf den Hintern. »Ich werde dich zu unserem Mörder Baruch schicken – er wird dich von deinen perversen Spielen heilen! Doch vorher wirst du noch einmal Vaters Hand und Gürtel kennen lernen!«
Bartek bezog am Abend noch ein zweites Mal saftige Prügel, überstand sie aber tapfer, und nach dieser Bestrafung musste er zusammen mit seinem Vater zu dem Mörder Baruch gehen, der in der Altstadt wohnte. In der Maria-Sk ł odowska-Curie-Straße hatte Baruch ein möbliertes Dachbodenzimmer gemietet. Seine Exorzismen und Behandlungen fanden im Hinterhof des Mietshauses statt, dessen Grundmauern angeblich genauso alt waren wie die des mittelalterlichen Kreuzrittertors, das man immerhin vor fast sieben Jahrhunderten errichtet hatte. Dort im Hinterhof der Maria-Sk ł odowska-Curie-Straße betrieb der Kurpfuscher einen Kleingarten − für seine Kaninchen hatte er dort Käfige gebaut und für die zwei Schweine einen Koben.
Bartek war schon einiges von den Bewohnern seines Städtchens gewohnt, sodass es ihn nicht besonders wunderte, als er in dem Schweinekoben, in dem nicht mehr als drei erwachsene Personen bequem stehen konnten, den Oberkörper freimachen musste. Seine Brust wurde mit Eberspeck eingerieben, und danach servierte man ihm frische Eberhoden, die der Kurpfuscher auf dem Wochenmarkt besorgt und in der Bratpfanne auf einem Spirituskocher zubereitet hatte. Das Schusterkind erbrach sich noch während der Mahlzeit vor den Augen seiner beiden Peiniger. Baruch sagte aber, das sei keine Schande, die Manneskraft werde schon bald in seinen jungen unverdorbenen Körper zurückkehren und die weiblichen Dämonen der Begierde besiegen. Die Behandlung wurde in den Wochen danach einige Male wiederholt − doch Bartek ließ sich nichts anmerken und tanzte in der Küche seine wilden Neuguinea-Tänze weiter, schminkte sich und erzählte seinen Freunden und auch seiner Mutter nichts von den in Schmalz gebratenen Eberhoden. Ihm war, als hätte ihn eine unsichtbare Macht vergewaltigt. Das Gefühl der Scham hinderte ihn daran, öffentlich vom Leid der Vergewaltigung zu klagen. Es war für ihn unmöglich, sich jemandem in dieser fatalen Angelegenheit anzuvertrauen. Seinem Vater wünschte er mehr denn je den Tod, und er verbannte ihn ins violette Licht des Operationssaales im Johanniter-Krankenhaus.
Der Empfang bei Bartek zu Hause fiel naturgemäß unfreundlich aus. Gleich in der Tür sagte Stasia zu Opa Franzose: »Für diese eine Nacht darfst du bei uns bleiben. Am nächsten Morgen verschwindest du aber.« Sie sprach mit einer Stimme, die dem Schusterkind bestens bekannt war. Die Nervosität, die Unberechenbarkeit und die Unbeherrschtheit des Vaters bestimmten den Herzschlag der Familie, und alle Kraft wurde darauf verwendet, ihn bei guter Laune zu halten. Er war ein Wassermann, der es liebte, wenn sein Land regelmäßig überflutet wurde – mit seinen Launen und Eifersüchteleien, mit seinem Flut- und Ebbewasser, das in ihm brodelte. Schweißausbrüche aus Angst vor den Launen und Besäufnissen des Vaters waren an der
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