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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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ihm anvertrauen, und der junge Mann warnte ihn vor den Ägyptern, sie seien böse und hinterlistig. Plötzlich bot man dem Fremden aus dem Osten Speise und Trank an, was er nach kurzem Überlegen dankbar annahm. Aber die schwere Speise und den unreinen Trank war der Junge nicht gewohnt, und so geschah es, dass er seinen Auftrag vergaß und in einen trüben Traum fiel. In diesem Zustand des Vergessens und der Schwere lebte er viele Jahre, und er wusste nicht einmal mehr, dass er ein Sohn eines mächtigen Königs aus dem Osten war. Seine Eltern waren sehr betrübt, als sie von den traurigen Geschehnissen in Ägypten hörten. Ihre königliche Liebe erlaubte ihnen nicht, ihr Kind seinem schrecklichen Schicksal zu überlassen. Sie schrieben ihm einen versiegelten Brief, indem sie ihn zum Erwachen aus dem betrüblichen Traum aufriefen. Sie erinnerten ihn auch an seinen Auftrag, er möge ihnen endlich die kostbare Perle bringen. So geschah es auch: Der Junge aus dem Osten wurde wach, erschrak über die Täuschung, der er erlegen war, und erfüllte die Bitte seiner königlichen Eltern. Er schläferte die Schlange ein und stahl ihr die Perle. Dann schmiss er seine unreinen Kleider weg und zog wieder die Stola an, die er im Königreich seines Vaters getragen hatte und die ihm für die Rückreise geschickt worden war. Seine prächtige Stola, bestickt mit unendlich vielen Gesichtern seines Vaters, wies ihm dann den Weg nach Hause, wo er voller Freude über seinen Sieg empfangen wurde. Die Geschichte endet hier, und jetzt kannst du dir vielleicht schon denken, was ›Unde malum‹ heißen mag, oder muss ich es dir wirklich übersetzen? Es ist eine Frage, und es geht um die Herkunft des Bösen, lieber Freund. Und nun lass mich meine Augenlider schließen – ich bin hundemüde!«
    Bartek hatte noch viele Fragen an seinen Opa, doch der Franzose drehte sich auf die andere Seite und fing an zu schnarchen, zunächst ganz leise, dann immer lauter, sodass sich das Schusterkind die Finger in die Ohren stecken musste. Diese Maßnahme war keine große Abhilfe, aber das Blatt wendete sich plötzlich, und zwar nicht unbedingt zum Positiven: Sein Opa wurde still, man hörte ihn nicht einmal mehr atmen. Bartek war es augenblicklich kalt ums Herz geworden. Plötzlich kam ihm der fürchterliche Gedanke, Olcias Mann habe soeben den Löffel abgegeben – einfach so, mir nichts dir nichts. Von solchen Todesfällen bei alten Menschen hatte Bartek schon gehört, deshalb war er so beunruhigt, dass er dem Franzosen einen kräftigen Ellenbogenstoß in die Rippen versetzte. Die Wirkung des Schlags ließ nicht lange auf sich warten. Opa Franzose wachte auf, schnappte nach Atem und fragte erschrocken: »Was ist denn los?«
    »Entschuldigung«, sagte das Schusterkind. »Ich dachte, du seist tot …«
    »Schlaf lieber, mein Junge! Wir haben in den nächsten Tagen alle Hände voll zu tun, und eine Spritzfahrt ins Jenseits steht bei mir noch nicht an!«

Kapitel 10: »Die unheimliche Begegnung der dritten Art«
    Bartek stand am nächsten Morgen früh auf. Zum einen hatte er beim gestrigen Rucksackpacken seine Schulbücher und -hefte vergessen, die er nun von Zuhause holen musste, zum anderen wollte er Anton wie gewöhnlich vor dem Kino Zryw treffen, um ihn zu fragen, was er von Marcins Aktion »Unde malum« hielte. Seine Meinung war ihm wichtig, zumal Anton immer einen kühlen Kopf bewahrte. Und er, Bartek, würde seinem Freund sagen, dass er Marcin nicht unterstützen könne; seine Idee sei albern und nicht der Rede wert – es handle sich hier um nichts weiter als um dumme Phantasmagorien eines aufgeblasenen Möchtegern-Propheten; das würde er Anton sagen.
    Die bevorstehende Verabredung auf dem Milizrevier mit Oma Hilde und dem deutschen Spion aus Amerika hatte Bartek eine schlaflose Nacht bereitet. Immer wieder musste er Entschuldigungen für sein Fehlen in der Schule fälschen, und schon mehrmals wurde er von den Lehrern bei einer Urkundenfälschung erwischt. Es nützte dem Schusterkind nichts, dass es die Handschrift seiner Mutter perfekt imitieren konnte: Die Gefahr, dass es die Versetzung in die nächste Klasse nicht schaffen würde, wuchs beständig.
    Die Milizoffiziere behandelten Oma Hilde wie eine Großstadtdame, sie erwiesen ihr Respekt und waren höflich und zuvorkommend zu ihr – das mussten sie auch sein, ohne Oma Hildes Deutschkenntnisse waren sie machtlos. Die Milizoffiziere fragten sie manchmal sogar danach, ob sie ihnen nicht ein Kilo

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