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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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gebackenen Marmorkuchen in sich hinein und musste sich anstatt eines Bieres mit dem schwarzen Tee begnügen.
    Wenn Antons Portemonnaie besonders gut gefüllt war, besorgte er auf dem Schwarzmarkt Devisen – Dollar oder D -Mark. Dann ging er zusammen mit Bartek ins Pewex , in das Geschäft der verbotenen Marken, die man nur aus dem Kino, dem Fernseher oder von einer Auslandsreise in den Westen kannte. Bei Pewex gab es keine Schlangen, und man bekam, was das Herz begehrte: Schweizer Schokolade, französischen Cognac oder eine Saturn-Rakete der NASA , spottete Marcin.
    Anton und Bartek kauften bei Pewex meistens Zigaretten der Marke Camel oder Marlboro und Dosenbier aus Westdeutschland. Marcin musste zu jedem Einkauf mitkommen, da ihn die Verkäuferinnen für volljährig hielten. Wie gern hätte jetzt das Schusterkind ein verbotenes Bier getrunken und eine verbotene Zigarette geraucht! Oft ging er nach der Schule mit Anton ins Pewex , bloß um sich die ausländischen Produkte anzuschauen und die verschiedenen Marken zu studieren. Sie standen so lange am Tresen, bis sie von den Verkäuferinnen, die am liebsten schwarze Miniröcke oder amerikanische Jeanshosen zu ihren weißen Kitteln anzogen, aufgefordert wurden, nach Hause zu gehen, zurück zu Geschwistern und Eltern. Die Verkäuferinnen schminkten sich ähnlich ausgefallen und aufreizend wie Stasia und ihre Schwestern, wobei die Pastellfarben eindeutig dominierten. Der Einkaufsladen Pewex hatte keinen würdigen Konkurrenten am Ort, obwohl die Waren des Spielzeug- und Papiergeschäfts Bartek genauso absorbierten wie die ausländischen Produkte und Marken. Wenn sich das Schusterkind im Schaufenster des Mitbewerbers von Pewex eine Spielzeugpuppe anschaute, dachte es sofort an sein Schwesterchen und auch daran, dass die kleine Stasia im Spielzeug- und Papiergeschäft ihren Wohnort gefunden hatte: Dort konnte sie sich entfalten und ihre Spielzeugpuppenexistenz vervollkommnen. Die Friedhöfe, diese Lagefeuer der Kannibalen aus dem Film »Am Anfang war das Feuer«, dachte das Schusterkind, müsste man abschaffen! Die Seelen der Verstorbenen sollten sich gleich nach der Beerdigung im Spielzeug- und Papiergeschäft versammeln und einen neuen Körper suchen – jede nach ihrer Fasson und ihrem Gusto. Ich würde mich zum Beispiel in einen weißen Elefanten verwandeln.
    Wo aber, fragte sich Bartek, kaufte Natalia Kwiatkowska die roten Karaffen, Gläser, Flaschen und Vasen, die sie in ihrem Dschungel ausstellte, in ihren Vitrinen und Bücherregalen? Als Physiklehrerin, die eigentlich eine Schamanin und Druidin war, versuchte sie, die Materie und ihre Erscheinungsformen zu manipulieren und neu zu erschaffen oder zumindest zu kopieren. Und in ihrer Bibliothek sammelte sie Informationen über alle Bewohner des Lunatals: über die Lebenden und die Toten. Zeitungen mit den Nekrologen und den neuesten Nachrichten wurden sorgfältig gelesen und anschließend archiviert – die Zeitungstürme vor den Wänden waren menschengroß.
    »Hör auf, dich mit Jadwigas Kuchen zu mästen«, sagte Natalia Kwiatkowska zu Opa Franzose, der sich schon das dritte Stück auf den Teller gelegt hatte. »Ich habe dir heute ein einmaliges Angebot gemacht. Sei vernünftig und bring deine Tochter Joanna zu mir: Ich werde mich um ihre Erziehung kümmern. Es soll auch die letzte und wichtigste Aufgabe in meinem Leben werden. Wenn ich euch Joanna jetzt überlasse, werdet ihr das Mädchen verderben. Franzose, du könntest mit deiner Entscheidung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Deine Tochter wäre gerettet, deine Schuld dir vergeben.« Und fügte hinzu, sie würde sich noch immer dafür hassen, dass dieses dumme Mädchen, das sie einmal gewesen sei, sich zur Abtreibung seines Babys habe überreden lassen. »Damit du frei sein konntest«, meinte sie zum Schluss, »habe ich unser Kind geopfert.«
    Der Franzose war nach all den schweren Vorwürfen zu keiner vernünftigen Antwort fähig, mit stummen Augen saß er da, und zu Barteks Verwunderung holte Natalia aus dem Wandschrank eine Schachkassette, die sie seinem Opa übergab: »Tu, was du am besten kannst: Spiel Schach, aber spiel endlich gegen dich selbst und nicht mehr gegen uns Frauen!«
    »Diese Schachpartie könnte nicht einmal Bobby Fischer gewinnen«, lachte der Franzose. »Denn wer gegen sich selbst antritt, fordert den Tod heraus. Du weißt ja, wie solche Spiele ausgehen.«
    Er öffnete widerwillig die schöne, handgearbeitete Holzkassette und stellte

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