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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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warum ausgerechnet dieser Trottel und Hobbyschachspieler Tschossnek? Warum sollte er einen schweren Schicksalsschlag erleiden? Ich mag an dem Typen nur zwei Dinge nicht: seine Vorliebe für Wagner und den militärischen Haarschnitt! Ansonsten verpestet er meine Luft nicht!«
    Romek trug über viele Jahre langes Haar wie ein Hippie, aber nachdem er auf Video den Film »Taxi Driver« und im Kulturhaus von Dolina Ró ż Konzerte von Republika, Brygada Kryzys und Dezerter gesehen hatte, wechselte er das Lager und die Gesinnung und ließ sich von Frau Tschossnek eine rote Irokesen-Frisur verpassen, allerdings zum Leidwesen seiner Eltern.
    Marcin sagte: »Seid still! Ich befehle hiermit, dass Bartek die Durchführung der ersten Brandlegung übernimmt – für die leichtesten Aufgaben muss der für die Aktionen verantwortliche Boss, und der bin ich, die Schwächsten einsetzen – später erst kommen die Sturmtruppen: Das Parteigebäude werde ich persönlich in Schutt und Asche legen«, erklärte er stolz und wandte sich sogleich an das Schusterkind. »Du wirst am nächsten Freitag den Frisiersalon in Brand setzen – wir werden in der Nähe lauern, anschließend die Feuerwehr anrufen und beim Löschen helfen. So werden wir im doppelten Sinne zu Helden – als Revoluzzer und Retter!«
    Mariola brach in Gelächter aus – sie bekam dabei einen Schluckauf − und sagte, den militärischen Ton von Marcin nachäffend: »Kinderspiele sind das! Die Werkstatt meines Vaters werdet ihr aber verschonen! Tut ihr es nicht, dann gnade euch Gott! Übrigens: Euer Pewex -Bier schmeckt nicht so gut, wie ich’s mir vorgestellt habe. Aber danke für die Einladung! Und für die schale Plörre aus der BRD !«
    Wenig später kam ihr neuer Liebhaber, ein junger Arzt, mit dem sie sich offensichtlich für den Abend verabredet hatte, was für Marcin einer besonders schmerzvollen Ohrfeige glich. In dem Augenblick hatte Bartek verstanden, warum ein Stöckelschuh einen Mann verführen und sogar tödlich verletzen konnte, im Übrigen genauso effektiv und in seiner ganzen Bosheit dennoch schrecklich anziehend und verführerisch wie ein Lippenstift. Schuhe waren das, Schminksachen, Sterne – die schönsten Konstellationen, die wichtigsten Sonnen- und Mondfinsternisse. Die wahre Astronomie der Liebe, dachte das Schusterkind, die Dunkle Materie. Der junge Arzt, der mit einem Auto gekommen war, griente unverschämt und sagte zu Mariola, als sie ihren Pelzmantel anzog: »Was für zauberhafte Burschen! Sie werden sich sicher liebevoll um deinen armen Bruder kümmern! Komm, wir gehen ins Piracka , wir wollen tanzen und einen trinken!«
    Mariola gab Marcin einen Kuss auf die Stirn, sagte zu ihm »Du Dummerchen! Ty g ł uptasku!« und hakte sich bei ihrem jungen Arzt ein. Als die beiden das neutrale Territorium von poczekalnia verlassen hatten, zischte der Aristokrat des Denkens und Handelns durch die Zähne: »Ich bringe diesen Hurensohn um!«
    »Was hast du denn gedacht?«, fragte ihn das Schusterkind. »Dass sie dich heiratet und mit dir nach Amerika abhaut? Sie hat dich längst durchschaut. Sie weiß, dass du mit deiner lächerlichen ›Unde-malum‹-Aktion vor ihr nur angeben wolltest!«
    Anton sagte: »Das Schusterkind hat ausnahmsweise Recht! Außerdem möchte ich noch Folgendes bemerken: Wenn schon unsere Eltern die Hosen vor den Sowjets vollhaben, was sollen wir dann erst sagen? Schlagt mich tot: Ich werde kein Brandstifter, kein Feuer- und Todesengel! Und die französischen Philosophen können mich mal!«
    »Ihr Feiglinge …«, murmelte Marcin vor sich hin.
    »Und ich dachte schon«, sagte Romek, »wir werden uns endlich besser kennen lernen!«

Kapitel 13: Die Kreuzigung
    Bartek stand vor der schwersten Prüfung, die er je hatte bestehen müssen. Einerseits plagten ihn Zweifel, andererseits konnte er Marcin ein für allemal beweisen, dass er stark, mutig und entschlossen war.
    Die geheime Sitzung, die aufgrund des Besuches von Mariola und ihrem Halbbruder gar nicht mehr als geheim bezeichnet werden konnte, hatte sich bis Mitternacht hingezogen – im Dunst von Zigaretten und Herrn Lupickis Schuhleim budapren , in der Sehnsucht nach der stolzen Krankenschwester Mariola und im Ohrenund Herzrausch der Musik, die der Sender Radio 3 aus Warschau Samstag für Samstag brachte. Anton hatte sich mit dem BRD -Bier betrunken, der budapren gab seinem Hirn den Rest, ebenso betörend und trunken war seine Schwärmerei für die Tochter des Fabrikdirektors

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