Der Lippenstift meiner Mutter
beide Geschwister waren, die unter bestimmten Umständen einen Mann sogar umbringen konnten. Stasias Lippenstift trieb Barteks Vater mehr und mehr in den Wahnsinn: Seine Angst davor, dass ein anderer Mann ihm sein teuerstes Spielzeug stehlen könnte, machte ihn unberechenbar.
Sie tranken das Pewex -Bier, Mariola schwieg, und der Bucklige Norbert lachte verlegen und bleckte dabei die Zähne; er mochte vielleicht schwachsinnig sein, vom rein medizinischen Standpunkt aus betrachtet (in den Augen seines Vaters war er unheilbar krank, nicht verrückt), und dennoch wusste Norbert, welchen Unterschied es zwischen dem Dosenbier aus Westdeutschland und dem einheimischen Produkt aus Olsztyn und Elbl ą g gab, er konnte den Unterschied wunderbar herausschmecken, er freute sich auf das Pewex -Bier genauso wie Anton oder Bartek. Herr Lupicki sprach nie davon, wie sehr es ihn schmerzte, dass er niemanden hatte, der eines Tages seine Werkstatt übernehmen würde. Außerdem beklagte er bei jeder Gelegenheit, dass die Welt schon bald keine Schuster mehr bräuchte, denn die Schuhe wären billige Massenprodukte geworden, hergestellt in künstlichen Bäuchen riesiger Fabriken. Eine Reparatur lohne sich nicht mehr, man kaufe sich lieber neue Schuhe, so der alte Schuster. Er litt darunter, dass er einen Schwachsinnigen, nein, einen unheilbar Kranken, gezeugt hatte – für ihn war das die größte Schande seines Lebens. Niemand nannte ihn einen Versager, nicht einmal dann, wenn ein paar derbe Witze die Schusterwerkstatt wie ein Erdbeben erschütterten, weil er der Vater eines debilen jungen Mannes war. Die Angst davor, von Herrn Lupicki im Affekt erschlagen zu werden – mit seinem Schusterhammer selbstverständlich – war bei seinen Angestellten wie auch bei seinen Kunden nun doch so groß, dass keine zynischen Anspielungen laut wurden.
Nichts für ungut, dachte Bartek und fragte sich im nächsten Moment: Was wollen die beiden jungen Lupickis hier? Wir werden wohl beobachtet, und man führt über unsere Aktivitäten eine Akte! Er schaute den Aristokraten des Denkens und Handelns grimmig an, um ihm seine Bedenken telepathisch mitzuteilen.
Marcin übergab dem Schusterkind dessen Aufsatz über die Gedichte der Stalinistin, allerdings kommentarlos, obschon die zwei DIN - A4 -Blätter vom Aristokraten an vielen Stellen mit roten Korrekturen verschönert worden waren.
»Schtschurek wird spätestens am Montag wieder draußen sein – sie dürfen ihn länger nicht festhalten, er ist doch erst siebzehn«, stellte er besserwisserisch fest – ihre Sitzung betrachtete er damit als eröffnet.
»Nein, er ist schon achtzehn«, meinte Romek.
Niemand konnte genau sagen, wie alt Schtschurek war.
Marcin spielte liebend gern die Rolle von Clint Eastwood. Er verwandelte sich nun in einen abgebrühten, kaltblütigen Egomanen, in einen Westernhelden, der vor nichts und niemandem Angst hatte. Mariola saß auf seinem Schoß, zündete ihm die Zigaretten an, öffnete ihm eine neue Dose Bier, und Marcin prahlte vor ihr mit seinen Fähigkeiten eines Bandenführers – er, der männliche Urgott.
»Ich habe euch, meine Soldaten«, begann Marcin, »bezüglich unserer Aktion ›Unde malum‹ Folgendes zu sagen: Wir wollen nicht nur schockieren, wir werden das Böse wie in einem Laboratorium genau untersuchen, den Leichnam sezieren und seine Knochen und Eingeweide studieren. Wir stecken als Erstes den Frisiersalon in Brand – wir werden natürlich zufällig in der Gegend sein und nach erledigter Arbeit die Feuerwehr anrufen … Wir fangen harmlos an – zum Schluss werden aber Parteigebäude, Schulen und Kulturhäuser brennen! Und wir wollen Menschenopfer vermeiden! Aber sie, die uns jeden Tag im Fernsehen, in den Zeitungen und im Radio – vor allem auch in der Schule − belügen, sie sollen sich durch unsere Aktion ›Unde malum‹ endlich zum Nachdenken gezwungen und verpflichtet fühlen, und das kann nur dann funktionieren, wenn wir eine Revolution machen und vom Untergrund aus Widerstand leisten! Hättet ihr wie ich französische Philosophen gelesen, wüsstet ihr, wovon ich rede: Erst in der Revolte gegen die Gesellschaft und gegen das Leben übernimmt der Mensch die Verantwortung für sein irdisches Schicksal, erst dann kann er wirklich frei sein!«
»Komm zur Sache«, sagte Anton. »Wir sollen Brandstifter werden?«
»Genau!«, pflichtete ihm Romek bei. »Brandstifter und Mörder obendrein?! Das ist mir zu viel des Guten – ich bin kein Killer! Und
Weitere Kostenlose Bücher