Der Lippenstift meiner Mutter
drehen sich nach hübschen Gymnasiastinnen und Krankenschwestern um; der Geruch von Parfüm und Schminke, von frisch gewaschenen Haaren, von Schuhcreme, Rasierwasser und Achselhöhlenschweiß schwebt in der Luft, kitzelt in der Nase; die Büstenhalter und Höschen zeichnen sich unter den engen dünnen Kleidern ab; die geschminkten Lippen von Stasia und ihren Freundinnen versprechen lange Sommerabende an den Ufern der Luna; und eigentlich sollte etwas ganz anderes gefeiert werden: nämlich die Eucharistie von Jesus und Marx, die Verwandlung ihrer Körper in eine für den irdischen Wurm unbegreifliche Unsterblichkeit; stattdessen wird es wieder einmal ein Fest der Liebe, ein Mahl des Ziegenbocks, eine Orgie des Wassermanns und der blonden Schwager, ein Fest der sieben Gangarten von Dolina Ró ż ; und Marcin, Anton, Romek und ich werden vor all der duftenden, pulsierenden Schönheit der Krankenschwestern, Gymnasiastinnen, Lehrerinnen und Schülerinnen der Nähschule auf die Knie fallen, auf die Knie fallen! − und selbst die Heilige Maria wird zum Objekt unserer Begierde, weil sie im Schmerz um ihren gekreuzigten Sohn von uns getröstet werden will.
Bartek freute sich Jahr für Jahr auf diese Moderevue, auf die Parademärsche am 1 . Mai oder im Juni, wenn die Transparente und Flaggen, auf denen die bärtigen Gesichter der beiden Erlöser Jesus und Marx abgebildet waren, über den Köpfen der Marschierenden im Wind flatterten, in der Sonne leuchteten und den blauen Himmel von Dolina Ró ż in eine blühende Frühlingswiese verwandelten. Die Arbeiter betranken sich vor den Bierbuden, die Fabrikund Schuldirektoren kauften ihren Enkelkindern Zuckerwatte, Luftballons und bunte und befederte Blechvögel zum Aufziehen, und am Abend trafen sich die Direktoren und Parteifunktionäre mit Gleichgesinnten, um einen Wodka zu trinken und eine Dame – meist eine leichte Beute − zu verführen. In völliger Abgeschiedenheit schmiedeten sie beim Wodka an neuen Fünfjahresplänen, um den Weg ins Paradies auf Erden zu verkürzen − und ohne die Prophezeiung des alten Schusters Lupicki zu kennen, dass sie seit der Gründung ihrer Volksrepublik geradeaus in die Hölle marschierten. Und der Pfarrer J ę drusik und seine treuesten Schäfchen − die alten Weiber − beteten am Abend in der Kirche, die Regierung möge bei ihren Entscheidungen ein glückliches Händchen beweisen. Es gab noch Hoffnung.
Kulig − die Schlittenfahrt sowie der Besuch bei dem Pruzzenkönig Widewut und seinen Kindern Bartel und Gustabalda
Opa Franzose wehrte sich nicht gegen die Beschuldigungen und Beleidigungen seiner Töchter. Er schwieg beharrlich, als wartete er bloß darauf, dass sie ihr Pulver gänzlich verschössen, um dann endlich aufatmen und zur Ruhe kommen zu können. Oma Olcia sprach ein Machtwort. Solchen Lärm und Zwist werde sie bei sich zu Hause nicht dulden, und schon gar nicht beim Mittagessen am Sonntag, meinte sie, dieser unsägliche Hass verderbe den Magen und beleidige die Heilige Mutter. Sie nahm ihren Mann sogar ein bisschen in Schutz und sagte, Gott werde schon bald über den Franzosen richten – diese Aufgabe müsse man ruhigen Gewissens dem Allmächtigen überlassen, da er der Einzige sei, der mit eisernem Besen kehren dürfe: im Herzen der Menschen − ob auf Erden oder im Himmel.
»Ich weiß, dass ich längst ein Bewohner unseres Friedhofs an der Luna geworden bin und für euch nicht mehr existiere«, erklärte der Franzose. »Ihr sprecht seit Tagen mit einem Toten. Und vielleicht habt ihr Recht damit, dass ich für euch kein guter Vater gewesen bin. Aber ich wollte mein ältestes Enkelkind noch einmal sehen! Und das kann mir keiner verbieten …«
Er fügte noch hinzu, er werde bald wieder verreisen, doch dieses Mal für immer, damit sich niemand mehr von ihm provoziert und verschmäht fühle. Er hätte nur noch eine wichtige Sache zu erledigen.
Diese wichtige Sache war auch seinen jüngeren Töchtern bereits bekannt, Stasia hatte ihre Schwestern ausgiebig über die sechzehnjährige Joanna aus der unehelichen Beziehung des Franzosen informiert, und Barteks Opa staunte nicht schlecht, als er erfuhr, dass er nicht nur auf die Unterstützung von Stasia zählen könnte. Tante Agata und Tante Hania erklärten sich bereit, bei der Erziehung und Unterbringung Joannas behilflich zu sein – selbst eine Beteiligung an einer Unterhaltszahlung schlossen sie nicht aus. Konnte man ihnen trauen? Das Schusterkind wusste, dass Stasia und
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