Der Lockvogel
nicht gut. Nicht für Vika. Eines Tages, aber nicht heute.« Diesmal nickte er nicht; er schaute nur die Blumen auf dem Tisch an. Marina beobachtete ihn. »Vielleicht solltest du mit Webster reden. Vielleicht meint er wirklich ernst, was er sagt.«
Er hob den Kopf und sah sie an.
»Er hat mir die letzten drei Monate lang das Leben zur Hölle gemacht. Jetzt passt es ihm in den Kram, mir den Rest zu geben. Nein.«
Marina dachte eine Weile nach. »Er ist der Einzige, der das Gleiche will wie du. Etwas, das Konstantin schadet.«
Lock schüttelte den Kopf. »Nein, ich will Konstantin nicht schaden. Ich will nur, dass er verschwindet. Dass er mich in Ruhe lässt. Ich will ein neues Leben. Ich will meine Familie zurück.« Er pausierte, um ihre Reaktion zu sehen. Sie nahm seine Hand und hielt sie in der ihren. »Das meine ich ernst. Wirklich. Ich war so unglaublich blind dafür. Für dich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich morgen früh hier aufwachen möchte, mit dir neben mir. Mit Vika in unserem Bett. Das ist Strafe genug. Ich sollte das nicht durchmachen müssen.«
Marina stand von ihrem Stuhl auf und stand über ihm, ihre Hand auf seiner Schulter. »Richard, ich glaube, du solltest gehen. Geh und schlaf dich aus. Bleib vielleicht einen Tag oder zwei in London. Komm und besuche uns. Morgen nach der Schule.«
Lock saß, mit dem Kopf in den Händen und den Ellbogen auf der Tischplatte. Das hörte sich gut an. Aber es war nur ein Aufschub. Die letzten Freiheiten eines sterbenden Mannes.
»Wie kommt man in euren Garten?«, fragte er schließlich.
Marina sah ihn verwirrt an.
»Hast du Zugang zu eurem Garten?«, fragte er.
»Ja, es ist ein Gemeinschaftsgarten. Warum?«
»Wie kommt man hinein?«
»Es gibt hinten eine Tür. Im Keller. Warum? Was meinst du?«
»Ich habe genug. Ich brauche eine Nacht in Freiheit. Ein paar Tage. Ich kann einfach nicht denken, wenn mir immer diese beiden Schläger auf dem Schoß sitzen.« Er erhob sich.
»Das ist verrückt. Wohin wirst du gehen?«
»Ich weiß es nicht. Irgendwohin. Ich werde nicht in dieses Gefängnis Moskau zurückkehren. Komm. Zeig mir den Weg.«
Marina sah ihn argwöhnisch an, sagte ihm aber schließlich, er solle ihr folgen. Zusammen gingen sie beim Licht der hereinscheinenden Straßenlampen die Treppe hinunter. Lock bat sie, das Licht im Treppenhaus nicht einzuschalten. Eine Minute später waren sie im Garten, ein großer freier Rasen, eingefasst von schmalen Blumenbeeten. Marina stand im Türrahmen, und Lock drehte sich zu ihr um, um sich zu verabschieden.
»Richard, das ist verrückt. Wie willst du über die Mauer kommen?«
»Über den Schuppen. Der sieht aus, als wäre er dafür gemacht.« Am anderen Ende des Gartens befand sich ein Schuppen, weiß und gespenstisch in der orangefarbenen Nacht der Stadt, direkt an der Mauer, die vielleicht drei Meter hoch war und den Garten vom dahinter liegenden Holland Park trennte. Oberhalb der Mauer reckten sich dürre Zweige wie Reisigbesen.
»Wie kommst du nach unten?«
»Ich springe. Kein Problem. Das ist das Erste, was ich seit fünfzehn Jahren für mich selbst tue.«
Er küsste sie, und als er sich zum Gehen wandte, ergriff sie seine Hände und hielt sie einen Moment lang fest. Bei ihrer Berührung schwand seine Tapferkeit, und er musste den Drang hierzubleiben niederkämpfen.
»Kein Problem«, wiederholte er.
Niemand hatte das Laub gerecht, die nassen Blätter quatschten unter seinen Füßen. Einen Augenblick später
war er auf dem schrägen Dach des Schuppens, und die Mauerkrone war auf einer Höhe mit seiner Brust. Er zog sich hoch und setzte sich darauf, spürte, wie Feuchtigkeit durch seine Hose drang. Marina schaute immer noch zu ihm herüber. Er winkte ihr zu, ließ sich auf der anderen Seite herunter, bis er an den Fingerspitzen hing, und ließ los.
Er landete in einem Busch und fiel mit zerkratzter Wade auf den Rücken. Er stützte sich auf die Ellbogen und blieb einen Moment auf der matschigen Erde liegen, es regnete in sein Gesicht. Süßer Londoner Regen. Er stand auf, bürstete sich mit der Hand die Kleidung ab und ging ohne große Eile in Richtung Kensington High Street. Er machte eine Bestandsaufnahme. Er hatte die Kleidung, die er auf dem Leib trug, hinten etwas feucht durch den Fall, aber ansonsten brauchbar; seinen Pass, seine Brieftasche mit etwa vierhundert Pfund in unterschiedlichen Währungen; den Brief von Marina und drei Handys, die er jetzt lahmlegen sollte. Er hatte
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