Der Lockvogel
bekommen sollte, ihm die Tür zu öffnen. Sicher wusste sie, dass er und sie das Gleiche wollten: Malin bloßstellen. Die Frage war, ob sie mitmachen würde.
»In Ordnung. Ich werde versuchen, mit ihr zu reden. Wenn sie glaubt, dass man hinter Ihnen her ist, wird sie vielleicht nachgeben. Gehen wir.«
»Wir können mein Auto nehmen.«
»Falls Sie recht haben, dann haben sie es wahrscheinlich gesehen. Wir nehmen ein Taxi.«
Webster ließ den Fahrer langsam an Ninas Wohnung vorbeifahren, Lock lag auf dem Rücksitz. Er konnte niemanden sehen. Es war nicht leicht, hier jemanden zu überwachen.
Die Straße war eine Einbahnstraße, und das Haus, in dem sie wohnte, befand sich ziemlich in der Mitte, was bedeutete, dass man sich nicht nur auf ein Auto beschränken konnte. Und es war nicht die Art von Gegend, wo alle Nachbarn sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern würden. Er behielt die Autos im Auge, die zu beiden Seiten der Straße standen. Sie waren alle leer. Es konnte immer noch sein, dass Lock sich die Sache eingebildet hatte; er war nicht mehr der zuverlässigste Zeuge.
Der Taxifahrer fand sie schlicht verrückt. Er ließ sie zwei Blocks weiter in einer Parallelstraße aussteigen. Webster bezahlte und schaute Lock an, der neben dem Taxi stand. In seinen Augen mischten sich Angst und Erwartung. Er sah verwahrlost aus, wie ein Getriebener. Webster fragte sich, ob er das mit ihm gemacht hatte. Zumindest hatte er es beschleunigt. Wenn sie mit Nina gesprochen hatten, konnte Lock anfangen, sich zu erholen.
»Wir müssen Sie ein wenig präsentabel herrichten. Können Sie etwas mit Ihrem Haar machen? Glätten Sie es ein bisschen. Vielleicht den Mantel ganz zuknöpfen. Okay. So ist es besser. Kommen Sie, gehen wir.«
Der eisige Pfad, den man in den Schnee getrampelt hatte, war nicht breit genug für sie beide. Lock ging voran, Webster hinter ihm behielt sorgfältig die Autos und Häuser im Auge.
Vor ihnen, zehn Meter vor der Ecke von Ninas Straße, hockte ein Mann auf dem Bürgersteig neben einem Auto. Mit einer behandschuhten Hand zog er die Plastikkappen von den Radmuttern, in der anderen Hand hielt er einen L-förmigen Radmutternschlüssel. Als sie näher kamen, stand er auf, trat einen Schritt zurück, und betrachtete sein Werk.
Er war groß und trug einen grauen Mantel. Webster legte seine Hand auf Locks Schulter, damit er langsamer ging. Er hörte Schritte hinter sich, ein kaum wahrnehmbares Knirschen auf dem Eis, doch bevor er sich umdrehen konnte, fühlte er, wie seine Knie unter ihm nachgaben. Während er einknickte, hörte er ein dumpfes Krachen in seinem Kopf. Schmerz schoss hinter seine Augen. Er fiel nach vorn auf die Knie, Eis und Splitt stachen in seine Hände. Ein weiteres Krachen und dann Dunkelheit.
Zuerst hörte er Stimmen. Als er die Augen öffnete, sah er grauen Schnee, dahinter das Rad eines Autos. Ein Streifen aus hellem Schmerz verlief von seinem Nasenrücken bis zum Hinterkopf. Er spürte Kälte an seiner Wange und in seiner Kleidung. Er schloss die Augen wieder.
Jemand sprach Deutsch. Einige der Worte kannte er. Er hob den Kopf erneut, und der Schmerz schien zu einem Punkt zusammenzufließen, wie Wasser. Eine Hand berührte seine Schulter, er drehte sich auf die Seite und schaute nach oben, blinzelte in das Licht.
»Sind Sie verletzt? «
»Was ist passiert? «
Ein Arm schob sich unter ihn und half ihm in eine sitzende Position. Seine Hose war an der Hüfte nass, und er schmeckte Eisen. Er griff nach oben und betastete seine Stirn und seine Schläfe. Über seinem Ohr fühlte sich das Haar warm und verklebt an. Er nahm die Hand weg und schaute stirnrunzelnd auf das Blut.
Lock. Verdammt. Lock.
Er versuchte aufzustehen, aber seine Füße fanden auf dem Eis keinen Halt.
Er musste ihn finden.
»Bewegen Sie sich nicht. Wir haben einen Krankenwagen gerufen. «
Es waren drei Menschen. Ein Mann hockte neben ihm, und zwei Frauen standen dicht daneben, ihre Gesichter waren besorgt. Er legte seinen Arm um die Schultern des Mannes und stemmte sich mit den Beinen hoch. Der Mann richtete sich zusammen mit ihm auf.
»Wirklich. Er kommt gleich .«
Webster sah an sich herab. Sein Körper fühlte sich fremd an. Sein Kopf schwamm, und er kämpfte gegen Brechreiz. Er musste sich bewegen. Einen Moment lang lehnte er sich haltsuchend an den Mann, dann machte er sich wieder auf den Weg zu Ninas Wohnung; behutsam bewegte er jedes Bein, tastete mit der ausgestreckten Hand nach der
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